Sterbelaeuten
eure Jacken in die Sakristei und setzt euch auf die Chorbänke! Das sind diese hier.“ Elisabeth sah zu, wie die Kinder ihre Sachen in die Sakristei warfen und sich in die Chorbänke drängelten. Es schien ein Gesetz zu geben, nachdem Kinder niemals nacheinander durch Türrahmen, Flure oder sonstige enge Stellen gehen durften. Auch in die Chorbänke zwängten sich immer mindestens zwei, manchmal drei Kinder gleichzeitig, um dort angekommen, noch ein, zwei Mal den Platz zu tauschen. Es war Dienstagnachmittag und es waren noch 17 Tage bis Heiligabend. Sie hatten noch vier Proben für das Krippenspiel. Jede Menge Zeit, sagte Elisabeth sich und versuchte, tief durchzuatmen.
„Heute proben wir zum ersten Mal in der Kirche.“ Das war offensichtlich, aber man sollte die Kinder ja pädagogisch „abholen“.
Ina und Marie unterhielten sich angeregt. Markus hielt die Finger wie eine Pistole und schoss mit explosionsartigen Geräuschen auf die Strohsterne, die von der Empore baumelten.
„Okay. Alle gucken mich an.“ Elisabeth trat einen Schritt auf die Kinder zu und klopfte auf die Lehne der Chorbank.
Marie und Ina sahen Elisabeth erwartungsvoll an. Markus hatte den Blick fragend auf sie gerichtet, die Finger zielten weiter auf einen Stern, der das Massaker bis dato überlebt hatte. Lukas schob nachdenklich seine Zahnspange mit der Zunge nach vorne bis an den Punkt, an dem sie aus dem Mund zu fallen drohte, und wieder zurück und starrte dabei gedankenverloren ins Nichts.
„So ist es gut.“ Man durfte nicht zu anspruchsvoll sein. „Ich will eure Augen sehen, damit ich sehe, dass ihr mir zuhört.“
Meike kniff die Augen zusammen und rief: „Ich höre zu!“
„Ole, nimm die Plastiktüte vom Kopf und gib Malte sein Schwert zurück!“
Die erste Probe in der Kirche war immer chaotisch. Niemand wusste, wo er sitzen, stehen, sprechen sollte. Josefine zeigte Elisabeth unaufgefordert ihr Kostüm, woraufhin fünf Kinder aufgeregt mitteilten, dass sie noch keins dabei hatten, obwohl Elisabeth sowieso klipp und klar gesagt hatte, dass heute noch keine Kostümprobe war. Malte, Marie und Ole hatten ihre Texte nicht mit und wussten nicht, wer Hirte 1 und wer Hirte 2 und 3 war. Maria und Josef wollten nicht Hand in Hand den Mittelgang herunterlaufen. Nach eineinhalb schweißtreibenden Stunden hatte Elisabeth die Kinder zweimal durch das Krippenspiel gecoacht und war bei der Schlussszene im Stall angelangt.
„Prima!“, rief sie. „Also merkt euch, wo ihr jetzt steht. Die Hirten links vom Altar, in der Mitte Maria und Josef vor dem Altar, und rechts die Heiligen Drei Könige. So machen wir es.“ Sie sah auf die Uhr. „Für heute sind wir fertig. Ihr könnt eure Jacken holen und dann kriegt ihr noch ein Bonbon von mir, weil ihr so toll mitgemacht habt.“
Hirten, Engel, Schafe stoben davon und Elisabeth drehte sich zum Mittelgang. Dort stand Thomas. Elisabeth hatte nicht gemerkt, dass er hereingekommen war. „Hallo, Thomas“, sagte sie beklommen.
Thomas sah sie an, drehte sich um und ging wortlos weg.
„Mama, was hat Thomas?“, wollte Marlene wissen.
Elisabeth sah ihm nach. Sie versuchte, vollendete Tatsachen zu schaffen, aber was, wenn sie an Heiligabend in die Kirche kam und die Hälfte ihrer Bühne wäre mit den Krippenspielfiguren aus Libanonholz vollgestellt? Würde sie in der Kirche Wache halten müssen, um das zu verhindern?
Marlene zupfte sie am Ärmel. „Lass das, Marlene! Wir reden darüber, wenn wir zuhause sind, okay?“
„Mama, Markus und Samuel werfen Bonbons auf die Empore.“
–
Ilona sah auf die Uhr. Sie hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Aber noch saß sie mit dem Gemeindebrief-Team an dem Tisch im kleinen Besprechungsraum neben dem Gemeindebüro. Zum Team gehörten der 72-jährige Alfons Schwertfeger, Sabine Krause, Erzieherin und Kirchenvorsteherin, Köhler vom Bauausschuss und Neumann, ein Sulzbacher Landwirt, beide ebenfalls Kirchenvorsteher. Zum ersten Mal war auch Jakob Clausen dabei. Er war wie versprochen pünktlich um fünf gekommen und hatte alle mit Handschlag begrüßt.
„Jakob Clausen, mein Name. Bin neu hier und möchte gerne ein bisschen mithelfen.“
.„Ja, das ist schon recht.“, beschied Neumann, nachdem er Clausen eingehend gemustert hatte.
„Arbeit gibt’s hier immer reichlich“, sagte Köhler.
„Ich bin die Sabine, hallo und willkommen bei uns.“ Sabine schenkte Clausen ihr lieblichstes Lächeln.
„Jakob kann uns beim Layout sicher noch gute Tipps
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