Sterbelaeuten
geben, er ist nämlich IT-Fachmann“, sagte Ilona und bemerkte mit Befriedigung, wie Sabine registrierte, dass sie, Ilona, mit Jakob bereits per Du war.
Ilona hatte schon die Seiten mit den Terminen vorbereitet, die Anzeigen und – soweit bereits vorhanden – die Artikel ausgedruckt und auf dem Tisch bereitgelegt, damit es heute schön schnell gehen würde. Jetzt diskutierte das Team schon seit geraumer Zeit über weitere Themen und darüber, wie man mehr Anzeigen-Kunden gewinnen könnte. Clausen brachte sich mit allerlei Ideen ein, die von den alten Hasen unter allen erdenklichen Gesichtspunkten erwogen wurden.
Gerome, Ilonas sechzehnjähriger Sohn, war schon die ganze Woche ziemlich durch den Wind gewesen. Sie wollte ihn heute nicht zu lange allein lassen. Gerome war Autist. Er brauchte verlässliche Strukturen, einen gleichbleibenden Ablauf. Die Treffen des Gemeindebrief-Teams fanden zwar regelmäßig statt, aber die Abstände waren so groß, dass Gerome sich nicht daran gewöhnte. Es würde ihn stören, dass sie heute später als sonst nach Hause kam. Wenn er so unruhig war, waren Änderungen im Tagesablauf nicht gut. Ilona hatte schon manches Mal erlebt, wie er sich in ein Unbehagen hineinsteigerte. Das wollte sie verhindern.
Sie mischte sich in die Diskussion: „Vielleicht verschieben wir die grundsätzlichen Überlegungen auf das nächste Mal und sehen zu, dass die Januar-Ausgabe fertig wird.“
„Ach, Ilona, nun würg doch Herrn Clausen nicht so ab.“ Sabine natürlich. „Er hat doch gute Ideen und uns tut ein frischer Blick von außen gut.“
„Danke, Frau Krause, aber ich will hier ja nicht den ganzen Laden aufhalten, das kommt mir auch gar nicht zu. Vielleicht denken wir alle noch mal über die Werbung nach und besprechen unsere Ideen im Januar?“
Ilona schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Eine weitere Viertelstunde und sie waren fertig. „Gut, wenn das alles ist, würde ich jetzt gerne hier zumachen.“ Sie stand auf.
Da erhoben sich endlich auch die andern und zogen ihre Mäntel an, wobei die Diskussionen weitergingen. Ilona trieb alle wie eine Henne ihre Küken aus dem Gemeindebüro, machte das Licht aus und schloss die Tür ab. Auf halbem Weg durch den Hof sagte Clausen:
„Mist, ich glaube, ich habe mein Handy im Büro liegen lassen.“
„Im Gemeindebüro?“ Ilona blieb stehen.
„Ja. Ich hatte es auf dem Tisch liegen und den Kalender aufgehabt. Anscheinend habe ich es nicht eingesteckt, ich finde es nirgendwo.“ Er klopfte demonstrativ auf seine Manteltaschen.
Neumann schüttelte den Kopf. Die jungen Leute konnten keinen Furz lassen, ohne Handy in der Hand.
„Ich mache dir auf.“ Ilona ging schnellen Schrittes zurück, Clausen hinterher.
„Ich mache ganz schnell“, sagte er. Ilona schloss die Tür auf und ließ ihn hineingehen. Sie knipste das Licht für ihn an. Nach einem Augenblick kam er schon wieder raus, das Handy in der Hand. „Gut, dass mir das nicht woanders passiert ist, im Kino oder so“, sagte er. „Da wäre es jetzt weg.“
„Ja, das stimmt wohl.“ Ilona schloss die Tür wieder zu. Sie schlossen mit Sabine, Neumann und Köhler auf, die im Hof gewartet hatten. Ilona eilte weiter. Sie hörte, wie Jakob vorschlug, noch etwas trinken zu gehen. Das würde Sabine sich sicher nicht entgehen lassen. Und Ilona würde zuhause sitzen und ihren sechzehnjährigen Jungen hüten.
–
Alicja schloss die Tür der kleinen Schwalbacher Zwei-ZimmerWohnung auf. Im Flur zog sie ihren Mantel aus und pfefferte die Schuhe unter die Garderobe. Sie fand ihren Bruder in der winzigen Küche sitzend, einen Lappen in der Hand. Draußen war es seit Stunden stockdunkel. In der Küche summte die Neonröhre an der Küchendecke. Alicja sah sich um. Es roch nach Putzmitteln und die Küche glänzte. Sie warf einen Blick ins Wohnzimmer. Dort war alles aufgeräumt, der Teppich hatte frische Streifen vom Staubsauger. Die Regale glänzten. Alicjas fachmännisches Auge stellte fest, dass Antoni offenbar jeden Quadratzentimeter der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung geputzt und gewienert hatte.
„Wow“, sagte Alicja. „Du hast ja die ganze Wohnung blitzsauber gemacht!“
Antoni sah erschöpft aus. Erschöpfter als der Wohnungsputz es rechtfertigte. Die ganzen letzten Wochen mussten ihn erschöpft haben. Jemandem beim Sterben zuzusehen, ging wohl auch an einer professionellen Pflegekraft wie Antoni nicht spurlos vorüber. Vielleicht hatte er nicht gedacht, dass er sich so an diese deutsche Familie
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