Sterbelaeuten
passiert?“
Torat steckte die Sachen schnell in seine Tasche. „Nein, ich habe mir nur ein bisschen meinen Kopf angehauen.“
„Seit wann stimmt man den Flügel denn von unten?“, fragte Stephanie belustigt.
„Ein guter Klavierstimmer muss sich ein Bild von dem ganzen Instrument verschaffen. Man darf sich nicht zu vornehm sein, vor dem Klavier in die Knie zu gehen“, schwafelte Torat und hob etwas vom Boden auf, was wie ein kurzes Streichholz ohne Kopf aussah. „Ich bin jetzt auch fertig.“
„So schnell?“, wunderte sich Stephanie. „Fiebig hat immer länger gebraucht.“
„Ja“, sagte Torat. „Der gute Fiebig war ja auch schon ein bisschen älter. Jetzt müssen wir mal sehen, wie der Flügel die Töne hält. Vielleicht muss ich in zwei Wochen noch mal nachstimmen.“
„Dann kannst du Marlene ja jetzt mitnehmen“, schlug Stephanie vor, „oder fährst du vor der Weihnachtsfeier noch mal nach Hause?“
Marlene wusste, dass heute Abend die Weihnachtsfeier des Kirchenvorstandes war. Papa würde auch dort sein, und die Kinder hatten ihrer Mutter einen „Fernsehabend“ mit Schnittchen, Cola und Chips abgerungen. Die Tatsache, dass die arme Marlene in erbarmungsloser Weise am Wochenende, in den Ferien, Klavierunterricht haben musste, war sicher mit ein Grund dafür, dass Elisabeth dem Fernsehabend zugestimmt hatte.
Der Kantor war traditionell auch zur Weihnachtsfeier des Kirchenvorstands eingeladen. Torat sah auf die Uhr. Es war inzwischen halb sechs.
„Ja, also, nach Hause fahren lohnt sich nicht“, stellte er fest. „Ich werde dann wohl noch etwas an die Orgel gehen, bis es losgeht.“
„Gut“, sagte Stephanie zu Marlene gewandt, „dann musst du nicht durch die Dunkelheit laufen.“
Marlene zog ihre Jacke an. Torat packte seine Utensilien zusammen und Stephanie verabschiedete die beiden. Marlene stieg hinten in den Audi ein.
„Ich komme dann direkt ins Restaurant“, rief Stephanie Torat noch zu, als der ins Auto stieg. Er winkte und fuhr los.
–
Torat parkte den Audi auf dem Parkplatz hinter dem Gemeindehaus. Marlene rief: „Tschüss, und danke fürs Mitnehmen!“ und sprang aus dem Auto.
Torat blieb sitzen. Er kramte sein Handy hervor.
„Ja?“, antwortete eine leicht metallisch klingende Stimme.
„Jakob?“, sagte Torat. „Hier Johannes.“
„Na, das wurde auch Zeit. Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt.“
„Jakob. Ich habe kein Geld. Aber ich habe etwas, das könnte eine Menge Geld wert sein.“
„Was ist das für ein Scheiß?“
„Nicht am Telefon“, sagte Torat. „Triff mich in der Kirche, aber du musst dich beeilen, ich habe noch einen Termin heute Abend.“
Er legte auf, bevor Schurig weitere Unflätigkeiten von sich geben konnte. Torat steckte Handy und Portemonnaie wieder ein und stieg aus. Er war euphorisch. Vom Himmel hoch war ihm Rettung gekommen. Als er das Störgeräusch beim Stimmen hörte, war er noch versucht gewesen, es einfach zu ignorieren. Stephanie hatte es offensichtlich nicht gehört, sonst hätte sie ihn darauf hingewiesen. Aber Sibylle hörte es ganz bestimmt und die würde früher oder später Stress machen und dann müsste er sich darum kümmern, also konnte er es auch gleich tun. Er hatte links und rechts gehorcht und war dem Geräusch schließlich bis unter den Flügel gefolgt. Auf der Unterseite hatte er die Platte mit dem losen Stift entdeckt. Halleluja, es lebe seine Gewissenhaftigkeit. Nur diese Marlene hätte beinahe alles vermasselt. Aber nur beinahe.
Er würde Jakob die Handschrift überlassen und ihn so loswerden. Jakob hatte Kontakte, er würde sie schon verkaufen können. Und er, Torat, würde sein Auto behalten. Wenn das keine Win-win-Situation war. Ein Weihnachtswunder.
Vom Parkplatz gelangte man durch ein kleines Tor über den Pfarrhof zum Seiteneingang der Kirche. Auf dem Hof war der Küster mit seiner Tochter dabei, Schnee zu schippen. Marlene half ihnen. Torat grüßte knapp und stapfte durch den noch nicht geräumten Schnee zum Seiteneingang, schloss auf und ging hinein.
–
Thomas, Miriam und Marlene waren noch gute fünfzehn Minuten mit Schneeschippen beschäftigt, bis der Hof mit schmalen Wegen zu allen Eingängen von Gemeindehaus, Gemeindebüro, Pfarrhaus und Kindergarten versehen war und die Wege mit Sand bestreut waren. Sie stellten die Schaufeln und den Besen wieder in den Geräteschuppen.
„Trinken wir einen Kakao?“, fragte Thomas die Mädchen.
Marlene sah auf die Uhr. „Aber um halb sieben muss
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