Sterbelaeuten
freitagnachmittags. Deshalb.“
„Warum kann die Stunde denn nicht einfach mal ausfallen?“, fragte Marlene aufgebracht. „Es sind Ferien. Ich will nicht am Wochenende in den Ferien Klavier haben. Das ist scheiße.“
„Ach, Marlene, Stephanie wollte dir einen Gefallen tun. Weißt du, Sibylle und Stephanie, die verstehen gar nicht, dass man keine Lust auf Klavierunterricht haben kann.“ Elisabeth sparte sich den Rest ihrer Rede, da Marlene schon wütend die Treppe hochgestampfte. Einen Augenblick später hörte sie die Zimmertür zuknallen.
Henry betrat die Küche. „Kleiner Mutter-Tochter-Moment?“
„Kann man so nennen“, sagte Elisabeth.
–
Bis zum Nachmittag hatte Marlene sich abgeregt und sogar noch ein bisschen geübt, um sich vor Stephanie nicht zu blamieren. Sie packte ihre Noten und machte sich auf den Weg zu den Heinemanns. Stephanie erwartete sie mit einem großen Lächeln.
„Hallo, Marlene. Wie schön, dass ich heute mal mit dir arbeiten darf! Ich bin schon gespannt, wie weit du mit Sibylle gekommen bist.“
Sibylle hatte mit Marlene einige Weihnachtslieder geübt. Nachdem Marlene „Macht hoch die Tür“ vorgespielt hatte, holte Stephanie ihre Altflöte und sie spielten die anderen Lieder zusammen. Tatsächlich machte es Marlene riesigen Spaß, und sie war enttäuscht, als es plötzlich an der Tür klingelte.
„Nanu, wer ist denn das?“, wunderte sich Stephanie und stand auf. „Ich erwarte niemanden.“
Sie öffnete die Tür und Marlene hörte, wie sie erstaunt ausrief:
„Johannes! Waren wir verabredet?“
„Ich habe gehört, dass es hier ein sehr wohlklingendes, wohlgeformtes, ähm, Instrument gibt, um das ich mich kümmern soll“, hörte Marlene eine Männerstimme sagen. Das konnte nur Torat sein. Stephanie erschien mit ihm im Wohnzimmer.
„Dann setz dich noch einen Moment, Johannes. Du kannst dir den Flügel schon mal anhören. Ich habe nämlich noch eine sehr begabte Schülerin hier, wie du siehst.“
Torat sah etwas beleidigt aus, setzte sich aber dann auf einen Stuhl. Er gähnte. Marlene sagte „Hallo“. Sie war ihrerseits nicht begeistert, jetzt auch noch vor Torat vorspielen zu müssen, aber Stephanie machte einfach weiter, wo sie aufgehört hatten, und Marlene fand auch wieder in ihr Spiel zurück.
Schließlich sagte Stephanie: „Das reicht für heute. Marlene, es war mir ein Vergnügen, mit dir zu spielen! Du musst unbedingt noch von Mutters Plätzchen probieren. Komm doch mit in die Küche, dann kann Johannes schon mal anfangen.“
Torat applaudierte Marlene und Stephanie etwas gönnerhaft. Dann griff er nach seiner Tasche und seinem Werkzeugköfferchen und ging zum Flügel.
Aus der Küche hörten sie, wie Torat begann, Töne anzuschlagen. Stephanie holte Dosen und Gläser mit Plätzchen aus einem Schrank. Es gab die verschiedensten Sorten von Plätzchen, Vanillekipferl, Butterplätzchen, dunkle Plätzchen mit Schokolade und einer Mokkabohne, Marzipankartoffeln.
„Die hat meine Mutter noch gebacken“, sagte Stephanie. „Setz dich doch. Das ist das letzte Mal, dass ich diese Plätzchen essen werde. Sibylle und ich können die nicht so backen Meine Mutter hat keine Rezepte benutzt, sie hatte sie alle im Kopf.“
Marlene überlegte, ob es komisch war, die Plätzchen einer Toten zu essen. Wenn Stephanie nicht so erwartungsvoll geguckt hätte, hätte Marlene vielleicht kein Plätzchen gegessen, aber sie brachte es nicht übers Herz, Stephanie abzuweisen. Sie probierte ein Vanillekipferl. Es schmeckte toll.
Nachdem Marlene schließlich alle Plätzchen probiert hatte, stand sie auf. „Darf ich mal aufs Klo gehen?“
„Klar“, sagte Stephanie, „du weißt ja, wo es ist.“
Die Toilette war merkwürdig hoch. Sibylle hatte ihr erklärt, dass es ihrer Mutter so leichter falle, aufs Klo zu gehen. Als Marlene von der Toilette wieder auf den Flur trat, fiel ihr ein, dass sie noch ihre Noten aus dem Wohnzimmer holen musste. Dort war es mittlerweile ganz still geworden. Marlene öffnete die Tür. Sie trat ins Wohnzimmer und sah Torat unter dem geöffneten Flügel sitzen. Als sie hereinkam, erschrak er so, dass er sich den Kopf mit einem lauten Knall am Flügel anschlug.
„Au! Verflucht. Entschuldigung, Marlene, sag’s nicht deinen Eltern.“ Er kroch unter dem Flügel hervor, eine dünne Holzplatte und ein Blatt Papier in der Hand.
Stephanie hatte den Knall offenbar gehört, denn sie streckte den Kopf durch die Wohnzimmertür und fragte: „Ist was
Weitere Kostenlose Bücher