Sterben: Roman (German Edition)
war nur kurz im Büro, um etwas zu holen. Aber wenn ich das erledigt habe, komme ich nach Hause.«
»Schön«, sagte ich.
»Und was machst du so?«, erkundigte sie sich.
»Nichts«, antwortete ich. »Aber Yngve hat gerade angerufen. Vater ist tot.«
»Was sagst du da? Er ist tot?«
»Ja.«
»Oh, du Armer! Oh, Karl Ove…«
»Mir geht’s gut«, erklärte ich. »Es kam ja nicht wirklich überraschend. Jedenfalls mache ich mich heute Abend auf den Weg. Erst mal zu Yngve, und morgen früh fahren wir dann zusammen hin.«
»Möchtest du, dass ich mitkomme? Das lässt sich bestimmt einrichten.«
»Nein, nein. Du musst doch arbeiten! Du bleibst hier und kommst dann zur Beerdigung nach.«
»Oh, du Armer«, sagte sie erneut. »Ich könnte jemand anderen bitten, für mich zu schneiden. Dann komme ich sofort nach Hause. Wann fährst du?«
»Es eilt nicht«, sagte ich. »Ich fahr erst in ein paar Stunden. Es ist eigentlich gar nicht so schlecht, ein bisschen allein zu sein.«
»Sicher?«
»Ja, ja. Ganz sicher. Ich fühle ehrlich gesagt nichts. Aber wir haben ja schon länger darüber gesprochen, dass er bald sterben wird, wenn er so weitermacht. Ich war also darauf vorbereitet.«
»Okay«, sagte Tonje. »Dann erledige ich hier den Rest und komme, so schnell ich kann. Pass auf dich auf. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, sagte ich.
Als ich aufgelegt hatte, kam mir Mutter in den Sinn. Sie musste es natürlich auch erfahren. Ich hob noch einmal den Hörer ab und wählte Yngves Nummer. Er hatte sie schon angerufen.
Ich saß fertig angezogen im Wohnzimmer und wartete, als ich Tonje in der Tür hörte. Frisch und lebhaft wie ein Sommerwind kam sie in die Wohnung. Ich stand auf. Ihre Bewegungen waren nervös, ihr Blick fürsorglich, und sie umarmte mich und sagte, sie würde am liebsten mitkommen, aber dass ich Recht hätte, am besten bliebe sie hier, und dann bestellte ich ein Taxi und stand mit ihr auf der Treppe vor der Tür und wartete die fünf Minuten, bis es kam. Wir sind ein Ehepaar, dachte ich, wir sind Mann und Frau, meine Frau steht vor dem Haus und winkt mir zum Abschied nach, dachte ich und lächelte. Denn woher rührte der unwirkliche Schimmer dieses Bilds? Daher, dass wir Mann und Frau, ein Ehepaar, eher spielten, als wirklich eins zu sein?
»Worüber lächelst du?«
»Nichts«, sagte ich. »Nur so ein Gedanke.«
Ich drückte ihre Hand.
»Da kommt es«, sagte sie.
Ich sah die Häuserreihe hinunter. Schwarz und käferartig kroch dort hinten das Taxi den Anstieg herauf, käferartig hielt und zögerte es an der Kreuzung, ehe es vorsichtig rechts heraufkrabbelte, wo die Straße denselben Namen trug wie die, auf der wir standen.
»Soll ich ihm hinterher rennen?«, sagte Tonje.
»Nein, wieso? Das kann ich doch genauso gut machen wie du?«
Ich griff nach dem Koffer und ging die Treppe zur Straße hinauf. Tonje folgte mir.
»Ich gehe zur Kreuzung runter«, sagte ich. »Und nehme es von da aus. Aber ich rufe dich heute Abend an. Okay?«
Wir küssten uns, und als ich mich an der Kreuzung umdrehte und das Taxi gleichzeitig den Hang hinunter zurücksetzte, winkte sie.
»Knausgård?«, sagte der Taxifahrer, als ich die Tür öffnete und den Kopf hineinsteckte.
»Ja, genau«, antwortete ich. »Ich muss zum Flughafen.«
»Setzen Sie sich, ich nehme Ihren Koffer.«
Ich setzte mich auf die Rückbank und lehnte mich zurück. Taxis, ich liebe Taxis. Nicht die, mit denen ich betrunken nach Hause kam, sondern die Wagen, mit denen ich zu Flughäfen oder Bahnhöfen fuhr. Gab es etwas Besseres, als auf der Rückbank eines Taxis zu sitzen und auf dem Weg in die Ferne durch Städte und Vorstädte kutschiert zu werden?
»Das ist eine fiese Straße«, meinte der Fahrer, als er sich hinters Steuer setzte. »Ich hatte schon gehört, dass sie sich teilt, bin selber aber noch nie hier gewesen. In zwanzig Jahren nicht. Merkwürdig, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich.
»Ich glaube, ich bin schon überall gewesen. Das muss die letzte Straße sein, in der ich noch nicht gewesen bin.«
Er lächelte mich im Rückspiegel an.
»Fahren Sie in Urlaub?«
»Nein«, antwortete ich. »Das nun nicht gerade. Mein Vater ist heute gestorben. Ich muss die Beerdigung vorbereiten. In Kristiansand.«
Damit hatte die Konversation ein Ende. Ich saß reglos da und starrte während der gesamten Fahrt die Häuser an, dachte an nichts Bestimmtes, starrte nur. Minde, Fantoft, Hop. Tankstellen, Autohändler, Supermärkte,
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