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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Luxusmodell, hatten wir von Yngve zu unserer Hochzeit geschenkt bekommen. Wer uns die Tasse geschenkt hatte, eine gelbe Höganäs-Keramiktasse, wusste ich nicht mehr, nur, dass sie auf Tonjes Wunschzettel gestanden hatte. Ich zupfte mehrmals am Faden des Teebeutels, warf ihn in den Mülleimer, in dem er mit einem leisen Klatschen landete, und ging mit der Teetasse in der Hand ins Esszimmer. Zum Glück war ich wenigstens allein zu Hause!
    Ich ging ein paar Minuten auf und ab und versuchte, Vaters Tod einen Sinn zu geben, aber es wollte mir nicht gelingen. Er ergab keinen Sinn. Ich verstand, dass er tot war, ich akzeptierte es, und es war nicht sinnlos, weil ein Leben jäh ausgelöscht worden war, das ebenso gut nicht hätte ausgelöscht werden müssen, sondern weil es eine von vielen Tatsachen war und nicht die Rolle in meinem Bewusstsein spielte, die ihr zustand.
    Auf und ab ging ich mit meiner Teetasse in der Hand, es war ein grauer und milder Tag, und die Landschaft, die sich nach und nach herabsenkte, war voller Häuserdächer und grüner, üppig wachsender Gärten. Wir wohnten hier erst seit ein paar Wochen, kamen aus Volda, wo Tonje eine Hörfunkausbildung absolviert und ich einen Roman geschrieben hatte, der in zwei Monaten erscheinen sollte. Es war unser erstes richtiges Zuhause; die Wohnung in Volda zählte nicht, sie war nur ein Provisorium gewesen, diese dagegen war eine Dauerlösung oder repräsentierte eine Dauerlösung, unser Zuhause. Die Wände rochen noch nach Farbe. Stierblutfarben im Esszimmer, einem Rat Tonjes Mutter folgend, die Künstlerin war, jedoch den größten Teil ihrer Zeit mit Inneneinrichtung und Kochen verbrachte, beides auf hohem Niveau – ihr Haus sah aus wie die Häuser in Wohnzeitschriften, und das Essen, das sie einem vorsetzte, war immer kunstvoll zubereitet und schmeckte köstlich. Eierschalenweiß in dem dahinter liegenden Zimmer sowie in den anderen Räumen. Aber wie einer Illustrierten entnommen sah unsere Wohnung definitiv nicht aus, dafür deuteten zu viele Möbel, Plakate und Bücherregale auf das Studentenleben hin, das wir erst kürzlich hinter uns gelassen hatten. Während ich meinen Roman schrieb, lebte ich von einem Studiendarlehen, denn offiziell studierte ich noch im Hauptfach Literaturwissenschaft, und zwar bis Weihnachten, als mir das Geld ausging und ich den Verlag um einen Vorschuss bitten musste, der bis vor Kurzem gereicht hatte. Dass Vater starb, kam deshalb wie gerufen, denn er hatte Geld, musste doch Geld haben, oder? Die drei Brüder hatten das Haus in der Elvegaten verkauft und sich den Erlös vor weniger als zwei Jahren geteilt. In so kurzer Zeit konnte er das Geld doch nicht verprasst haben?
    Mein Vater ist tot, und ich denke an das Geld, das mir sein Tod einbringen wird.
    Na und?
    Ich denke, was ich denke, kann nichts dafür, dass ich so denke, oder?
    Ich setzte die Tasse auf dem Esstisch ab, öffnete die schmale Tür und trat auf den Balkon hinaus, stützte mich mit steifen Händen auf das Geländer und blickte in die Ferne, während ich die warme Sommerluft, so voller Düfte von Pflanzen und Autos und Stadt, in meine Lunge einsog. Im nächsten Moment stand ich wieder im Zimmer und schaute mich um. Sollte ich etwas essen? Etwas trinken? Rausgehen und etwas kaufen?
    Ich trottete in den Flur, dann ins Schlafzimmer, das breite, ungemachte Bett, dahinter die Tür zum Bad. Das könnte ich tun, dachte ich, duschen, das war eine gute Idee, immerhin würde ich in Kürze verreisen.
    Raus aus den Kleidern, das Wasser aufdrehen und dampfend heiß, auf den Kopf, den Körper hinablaufen lassen.
    Sollte ich wichsen?
    Nein, verdammt, immerhin war Vater gestorben.
    Tot, tot, Vater war tot.
    Tot, tot, Vater war tot.
    Es brachte mir auch nichts, unter dem Wasserstrahl zu stehen, so dass ich wieder abdrehte und mich mit einem großen Handtuch abtrocknete, etwas Deodorant in die Achselhöhlen rieb, mich anzog und in die Küche ging, um nachzusehen, wie viel Uhr es war, während ich meine Haare mit einem kleineren Tuch abtrocknete.
    Halb drei.
    Dann kam Tonje in einer Stunde nach Hause.
    Schon der Gedanke, ihr das alles aufzutischen, wenn sie durch die Tür trat, war mir unerträglich, so dass ich in den Flur ging, das Handtuch durch die offene Schlafzimmertür warf, den Telefonhörer abnahm und ihre Nummer eintippte. Sie ging sofort an den Apparat.
    »Tonje?«
    »Hallo, Tonje, ich bin’s«, sagte ich. »Wie läuft’s?«
    »Na ja. Ich bin jetzt endlich beim Schneiden,

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