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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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sie allein.
    Yngve ging die Treppe hinunter. Ich blieb stehen und überlegte, ob ich bei ihr bleiben sollte.
    »Du solltest mitkommen, Karl Ove«, sagte Gunnar. »Wir müssen ihn hochschieben, und er ist ziemlich schwer.«
    Ich folgte den beiden nach unten.
    »Hat sie was gesagt?«, fragte er.
    »Großmutter?«, sagte ich.
    »Ja? Darüber, was passiert ist?«
    »So gut wie nichts.«, antwortete ich. »Nur, dass sie ihn im Sessel gefunden hat.«
    »Bei ihr drehte sich immer alles um deinen Vater«, sagte er. »Sie steht unter Schock.«
    »Was können wir tun?«, sagte ich.
    »Tja, was könnt ihr schon tun? Die Zeit ist das Einzige, was hilft. Aber sobald die Beerdigung vorbei ist, kommt sie in ein Heim. Du siehst ja, wie sie aussieht. Sie muss betreut werden. Sobald die Beerdigung vorbei ist, kommt sie hier raus.«
    Er wandte sich um, trat auf die Eingangstreppe und blinzelte in den hellen Himmel. Yngve saß bereits im Auto.
    Gunnar drehte sich noch einmal zu mir um.
    »Weißt du, wir hatten einen mobilen Pflegedienst für sie besorgt, die sind jeden Tag vorbeigekommen und haben sich um sie gekümmert. Dann kam dein Vater und hat sie hinausgeworfen. Machte die Tür zu und schloss sich mit ihr ein. Selbst ich durfte nicht mehr ins Haus. Aber einmal rief Mutter mich dann doch an, da hatte er sich das Bein gebrochen und lag im Wohnzimmer auf dem Boden. Er hatte sich in die Hose gemacht. Kannst du dir das vorstellen? Er hat auf dem Fußboden gelegen und getrunken. Und sie hat ihn bedient. So geht das nicht weiter, habe ich zu ihm gesagt, bevor der Krankenwagen kam. Das ist unter deiner Würde. Jetzt reiß dich mal zusammen. Und weißt du, was dein Vater gesagt hat? Musst du mich jetzt noch tiefer in die Scheiße drücken, Gunnar! Bist du deshalb gekommen, um mich noch tiefer in die Scheiße zu drücken?«
    Gunnar schüttelte den Kopf.
    »Verstehst du, das ist meine Mutter, die jetzt da oben sitzt und der wir all die Jahre zu helfen versucht haben. Er hat alles kaputt gemacht. Das Haus, sie, sich selbst. Alles. Alles.«
    Er legte kurz die Hand auf meine Schulter.
    »Aber ich weiß, dass ihr gute Jungs seid.«
    Ich weinte, und er sah weg.
    »Nun ja, jetzt müssen wir mal diesen Anhänger richtig hinstellen«, sagte er und ging zum Auto, setzte sich hinein und ließ es an, fuhr langsam rückwärts den Hang nach links hinunter und hupte, als der Weg frei war, woraufhin Yngve ihm folgte. Dann fuhr Gunnar hoch, stieg aus dem Auto und koppelte den Anhänger ab. Ich ging zu ihnen runter, packte den Griff und begann, ihn den Anstieg hinaufzuziehen, während Yngve und Gunnar von hinten schoben.
    »Hier steht er gut«, meinte Gunnar, als wir ein Stück im Garten waren, und ich setzte die Anhängerkupplung ab.
    Großmutter stand im ersten Stock am Fenster und schaute auf uns herunter.
    Während wir die Flaschen einsammelten, sie in Plastiktüten verstauten und ins Auto trugen, saß Großmutter die ganze Zeit in der Küche. Sie sah mir zu, während ich Bier und Schnaps aus den halb vollen Flaschen in den Ausguss leerte, sagte aber nichts. Vielleicht war sie erleichtert, weil sie verschwanden, vielleicht nahm sie es gar nicht wahr. Das Auto wurde voll, und Yngve ging zu ihr hinein, um ihr zu sagen, dass wir zum Supermarkt fahren würden. Sie stand auf und kam mit in den Flur, und wir nahmen an, dass sie hinter uns zumachen wollte, aber als sie aus dem Haus trat, ging sie schnurstracks die Treppe hinunter zum Auto, legte die Hand auf den Griff, öffnete die Autotür und wollte sich hineinsetzen.
    »Großmutter?«, sagte Yngve.
    Sie hielt inne.
    »Wir wollten alleine fahren. Einer muss doch hierbleiben und auf das Haus aufpassen. Ich glaube, du bleibst besser hier.«
    »Meinst du?«, sagte sie und trat einen Schritt zurück.
    »Ja«, sagte Yngve.
    »Ja, ja«, sagte sie. »Dann bleibe ich eben hier.«
    Yngve setzte aus der Auffahrt zurück, und Großmutter ging wieder ins Haus.
    »Verdammt«, sagte ich.
    Yngve schaute an mir vorbei, blinkte dann links und fuhr langsam auf die Straße.
    »Sie steht eindeutig unter Schock«, sagte ich. »Ich frage mich, ob ich vielleicht mal mit Tonjes Vater sprechen soll? Er könnte ihr mit Sicherheit etwas Beruhigendes verschreiben.«
    »Sie nimmt doch schon Medikamente«, erwiderte Yngve. »Im Küchenregal liegt ein ganzes Brett voll.«
    Er schaute noch einmal an mir vorbei, diesmal den Kuholmsveien hinauf, auf dem sich abwärts fahrend drei Autos näherten. Dann sah er mich an.
    »Aber das kannst du

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