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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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voller Menschen, Autos und funkelndem Glas. Der Himmel war blau, der Rucksack stand neben mir auf dem Asphalt, die Zigarette hatte ich im Mundwinkel platziert, und als ich sie nun, das gelbe Feuerzeug mit der Hand vor dem Wind abschirmend, anzündete, tat ich es mit einem intensiven, fast überwältigenden Gefühl von Freiheit. Ich war allein, ich konnte tun, was ich wollte, das ganze Leben lag vor mir. Ich hustete ein wenig, der Rauch kratzte natürlich im Hals, aber unter den gegebenen Umständen klappte es gut, die Intensität des Freiheitsgefühls ließ nicht nach, und nachdem ich meine Zigarette geraucht hatte, steckte ich die rotweiße Schachtel in die Jackentasche, warf mir den Rucksack auf den Rücken und zog los, um mich mit Yngve zu treffen. Auf dem Gymnasium in Kristiansand hatte ich nichts, aber Yngve hatte ich. Was er besaß, das besaß auch ich, und deshalb war ich nicht nur froh, sondern auch stolz, als ich eine Stunde später in seinem Zimmer kniete, in das die Sonnenstrahlen durch das abgasmatte Fenster fielen, und in seiner Plattensammlung in den drei Weinkisten an der Wand stöberte. Am Abend gingen wir zusammen mit drei jungen Frauen aus, die er kannte, und ich lieh mir sein Deodorant, Old Spice, und sein Haargel, und bevor wir aufbrachen, schlug er, vor dem Spiegel im Flur, die Ärmel meines schwarz-weiß karierten Hemds hoch, das so ähnlich aussah wie eins, das The Edge von U2 damals oft auf Fotos trug, und rückte den Aufschlag meines Jacketts zurecht. Die Mädchen trafen wir in einer ihrer Wohnungen, und sie amüsierten sich sehr darüber, dass ich erst sechzehn war, und meinten, ich sollte mit einer von ihnen Händchen halten, wenn wir am Türsteher vorbeigingen, was ich auch tat, als ich zum ersten Mal ein Lokal betrat, in das man erst mit achtzehn durfte. Am nächsten Tag gingen wir ins Café Opera und ins Café Galleri, wo wir uns mit Mutter trafen. Sie wohnte in einer Wohnung bei ihrer Tante Johanna im Søndre Skogveien, die Yngve später übernahm und in der ich ihn die nächsten Male besuchte, wenn ich nach Bergen kam. Im Jahr darauf kam ich mit einem Tonbandgerät, um die amerikanische Band Wall of Voodoo zu interviewen, die am Abend im Hulen spielte. Ich hatte keinen Termin, kam mit meinem Presseausweis während des Soundchecks aber trotzdem hinein, und wir standen am Bühneneingang und warteten auf die Band, ich in einem weißen Hemd und einer schwarzen Cowboykrawatte mit einem großen, glänzenden Adler, schwarzer Hose und Boots. Als die Band schließlich kam, traute ich mich plötzlich jedoch nicht mehr, sie anzusprechen, sie sahen so furchteinflößend aus, eine Gang drogensüchtiger Dreißigjähriger aus Los Angeles, und es blieb Yngve überlassen, die Situation zu retten. Hey, mister! , rief er, und der Bassist wandte sich um und kam zu uns, und Yngve sagte, This is my little brother, he has come all the way from Kristiansand down south to make an interview with Wall of Voodoo. Is that ok with you?
    Nice tie! , sagte der Bassist, dem ich im nächsten Moment errötend in die Garderobe der Band folgte. Er war ganz in Schwarz gekleidet, hatte große Tattoos auf den Armen, lange schwarze Haare, trug Cowboyboots und war überaus freundlich, gab mir ein Bier und beantwortete ausführlich jede meiner vorformulierten, schülerzeitungshaften Fragen. Ein anderes Mal interviewte ich Blaine Reiniger, der damals gerade Tuxedomoon verlassen hatte, in Bergen auf einer der weichen Ledercouches im Café Galleri. Dass ich nach dem Gymnasium hierher, in diese Metropole mit ihren Cafés, Konzerthallen und Plattengeschäften ziehen würde, bezweifelte ich keine Sekunde.
    Nach dem Wall-of-Voodoo-Konzert saßen wir im Hulen und beschlossen, eine Band zu gründen, wenn ich nach Bergen zog; Yngves Kumpel Pål spielte Bass, Yngve Gitarre und ich Schlagzeug. Einen Sänger würden wir schon noch finden, wenn es so weit war. Yngve sollte die Stücke schreiben, ich die Texte, und eines Tages, sagten wir uns an jenem Abend, würden wir hier, im Hulen, spielen. Nach Bergen zu fahren, hieß für mich damals, in die Zukunft zu fahren. Ich verließ mein gegenwärtiges Leben und verbrachte einige Tage in meinem nächsten, ehe ich dann wieder zurückkehrte. In Kristiansand war ich allein und musste um alles kämpfen, in Bergen war ich mit Yngve zusammen, und was er hatte, das kam auch mir zugute. Nicht nur die Kneipen und Cafés, die Geschäfte und Parks, die Lese- und Hörsäle, sondern auch all seine Freunde,

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