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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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herum, lümmelten im Flughafencafé umher, fuhren nach Hamresanden hinaus und klingelten bei einem der Mädchen dort, Rita, für das sich Jan Vidar und Kjetil interessierten.
    Kjetil hatte eine Tafel Schokolade dabei, die er sich mit Jan Vidar auf dem Weg den Hügel hinauf teilte, ohne mir etwas davon abzugeben, aber das brachte ihm auch nichts, denn Jan Vidar ließ sich nichts anmerken, teilte sein Stück und reichte mir die Hälfte. Dann gab Kjetil auf und wandte sich anderen zu, aber solange wir auf die Gesamtschule gingen, fand er keine Freunde mehr, die ihm so nahestanden, wie Jan Vidar es einmal getan hatte.
    Kjetil war ein Mensch, den alle nett fanden, insbesondere die Mädchen, aber mit ihm gehen wollte keins von ihnen. Rita, die sonst frech und hart war und niemanden verschonte, hatte einen Narren an ihm gefressen, und die beiden lachten immer viel und unterhielten sich in einem ganz eigenen Ton, aber mehr als Schulfreunde wurden sie nie. Für mich sparte Rita sich ihre spitzesten Bemerkungen auf, und ich war immer auf der Hut, wenn ich in ihrer Nähe war, denn ich konnte nie wissen, wann oder wie der Angriff erfolgen würde. Sie war klein und dünn, ihr Gesicht war schmal, der Mund spitz, aber ihre Züge waren wohlproportioniert, und die Augen, die oft so voller Hohn waren, leuchteten mit seltener Intensität; fast funkelnd waren sie. Rita war hübsch, wurde aber noch nicht so wahrgenommen und konnte andere so bissig behandeln, dass es vielleicht immer dabei bleiben würde.
    Eines Abends hatte sie mich zu Hause angerufen.
    »Hallo, Karl Ove, hier ist Rita«, meldete sie sich.
    »Rita?«, sagte ich.
    »Ja, du Dummkopf. Rita Lolita.«
    »Hallo«, sagte ich.
    »Ich wollte dich was fragen«, meinte sie.
    »Ja?«
    »Willst du mit mir gehen?«
    »Was hast du gesagt?«
    »Noch einmal. Willst du mit mir gehen? Das ist eine simple Frage. Es ist allgemein üblich, dass du darauf mit Ja oder Nein antwortest.«
    »Ich weiß nicht …«, erwiderte ich.
    »Ach, nun komm schon. Wenn du nicht willst, dann sag es.«
    »Ich glaube eher nicht …«, sagte ich.
    »Also nicht«, sagte sie. »Dann sehen wir uns morgen in der Schule. Mach’s gut.«
    Damit legte sie auf. Am nächsten Tag verhielt ich mich wie immer, und sie verhielt sich auch wie immer, war vielleicht nur noch ein bisschen mehr darauf erpicht, mir eins auszuwischen, falls sich die Möglichkeit dazu bot. Sie erwähnte es nie, ich erwähnte es nie, auch nicht Jan Vidar oder Kjetil gegenüber, mit so etwas wollte ich nicht die Oberhand gewinnen.
    Nachdem ich Mutter Bescheid gesagt und sie den Staubsauger wieder eingeschaltet hatte, zog ich im Flur Jacke und Schuhe an und ging, gegen den Wind geduckt, nach draußen. Vater hatte das eine Garagentor geöffnet und holte gerade die Schneefräse heraus. Der Kies in der Garage war vollkommen schneefrei und trocken, und irgendetwas daran weckte in mir stets vages Unbehagen, denn Kies gehörte zu den Dingen, die im Freien waren, und was im Freien war, sollte von Schnee bedeckt sein, damit ein Ungleichgewicht zwischen drinnen und draußen entstand. Wenn das Tor geschlossen war, dachte ich nicht daran, kam es mir nie in den Sinn, aber wenn ich es sah …
    »Ich bin nur mal kurz bei Per«, rief ich.
    Vater, der sich mit der Fräse abmühte, drehte den Kopf und nickte. Ich bereute ein wenig, dass ich den Hügel als Treffpunkt vorgeschlagen hatte, unter Umständen war das zu nah, denn wenn es um Regelverstöße ging, hatte mein Vater normalerweise einen sechsten Sinn. Andererseits war es schon eine ganze Weile her, dass er sich gedanklich mit mir beschäftigt hatte. Als ich den Briefkastenständer erreichte, hörte ich weiter oben die Schneefräse anspringen. Ich blickte hinauf, um zu überprüfen, ob er mich sehen konnte. Als das nicht der Fall war, ging ich den Hügel auf der Straßenseite hinunter, die am Hang entlangführte, um so das Risiko zu verringern, beobachtet zu werden. Unten angekommen blieb ich stehen und schaute wartend auf den Fluss. Drei Autos fuhren am anderen Ufer hintereinander her. Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer waren wie kleine gelbe Stiche in dem riesigen Grau. Der Schnee auf der Ebene hatte die Farbe des Himmels angenommen, dessen Licht vom Netz der einsetzenden Dämmerung wie zugeschnürt wurde. Das Wasser in der Wake war schwarz und glänzte. Dann hörte ich einige hundert Meter entfernt in der Kurve ein Auto herunterschalten. Das Motorengeräusch klang spröde und gehörte mit Sicherheit zu einem

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