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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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unfassbar fröhlich wie beim ersten Mal, hatte diesmal jedoch einen Filmriss und erinnerte mich an nichts mehr zwischen meinem fünften Glas Wein und dem Augenblick, in dem ich auf dem Fußboden eines dunklen Kellers aufwachte, bekleidet mit einer Jogginghose und einem Collegepullover, die ich noch nie gesehen hatte, auf einem mit Handtüchern bedeckten Federbett liegend. Meine eigenen Kleider lagen in einem Bündel neben mir und waren über und über mit Erbrochenem bespritzt. Ich erhaschte einen Blick auf eine Waschmaschine an der Wand, einen Korb mit dreckiger Wäsche daneben, eine Gefriertruhe an der anderen Wand, diverse Regenhosen und Regenjacken auf ihrem Deckel. Darüber hinaus gab es dort auch noch einen Stapel Krebsreusen, einen Kescher, eine Angelrute und ein Regal mit Werkzeug und Schrott. Diese Umgebung, so neu für mich, nahm ich mit einem einzigen schweifenden Blick wahr, ehe ich ausgeruht und mit einem vollkommen klaren Kopf erwachte. Ein paar Schritte hinter mir stand eine Tür einen Spaltbreit offen. Ich öffnete sie und gelangte in die Küche, wo Stig und Liv mit ineinandergeflochtenen Händen saßen und glücklich glühten.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Na, wenn das nicht Garfield ist«, erwiderte Stig. »Wie geht es dir?«
    »Gut«, sagte ich. »Was ist passiert?«
    »Du erinnerst dich nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »An nichts?«
    Er lachte. Im selben Moment kam Jan Vidar aus dem Wohnzimmer herein.
    »Hi«, sagte er.
    »Hi«, sagte ich.
    Er grinste.
    »Hi, Garfield«, meinte er.
    »Was soll das mit Garfield eigentlich?«, fragte ich.
    »Erinnerst du dich nicht?«
    »Nein. Ich erinnere mich an gar nichts. Aber mir ist klar, dass ich mich übergeben haben muss.«
    »Wir haben ferngesehen. Einen Garfield-Film. Dann bist du aufgestanden und hast dir auf die Brust geschlagen und gerufen, I’m Garfield . Dann hast du dich wieder hingesetzt und gelacht. Und dann hast du das nochmal gemacht. I’m Garfield! I’m Garfield! Und dann hast du gekotzt. Im Wohnzimmer. Auf den Teppich. Und danach bist du verdammt nochmal eingeschlafen. Knall auf Fall. In einer Pfütze. Und warst absolut nicht mehr wachzukriegen.«
    »Oh, Scheiße«, sagte ich. »Tut mir leid.«
    »Halb so wild«, meinte Stig. »Den Teppich kann man reinigen. Jetzt müssen wir erst einmal zusehen, dass ihr nach Hause kommt.«
    Erst da packte mich die Angst.
    »Wie viel Uhr ist es?«, sagte ich.
    »Fast eins.«
    »Erst eins? Super. Um eins sollte ich zu Hause sein. Dann komme ich ja nur ein paar Minuten zu spät.«
    Stig hatte nichts getrunken, und wir folgten ihm zum Auto, setzten uns hinein, Jan Vidar vorne und ich hinten.
    »Erinnerst du dich wirklich an nichts?«, sagte Jan Vidar, als wir losfuhren.
    »Nein, verdammt, an nichts.«
    Das machte mich stolz. Die ganze Geschichte, was ich gesagt und was ich getan hatte, sogar das Kotzen, machte mich stolz. Es kam dem Menschen nahe, der ich sein wollte. Als Stig jedoch am Briefkastenständer anhielt und ich den dunklen Weg in fremden Kleidern hinaufging, während meine eigenen in einer Tüte an meiner Hand baumelten, hatte ich Angst.
    Hoffentlich waren sie schon im Bett. Hoffentlich waren sie schon im Bett.
    Und es sah tatsächlich ganz danach aus. In der Küche brannte jedenfalls kein Licht mehr, und das löschten sie immer als Letztes, bevor sie schlafen gingen. Als ich die Tür öffnete und mich in den Flur schob, hörte ich jedoch ihre Stimmen. Sie saßen im ersten Stock, auf der Couch vor dem Fernseher, und unterhielten sich. Das taten sie sonst nie.
    Hatten sie auf mich gewartet? Wollten sie mich kontrollieren? Meinem Vater war es durchaus zuzutrauen, dass er mich bitten würde, ihn anzuhauchen. Das hatten seine Eltern jedenfalls bei ihm getan, worüber sie heute lachten, aber damals mit Sicherheit nicht.
    Sich an ihnen vorbeizuschleichen war schlicht unmöglich, da die Treppe direkt neben ihnen endete. Also konnte ich den Stier genauso gut bei den Hörnern packen.
    »Hallo?«, sagte ich. »Ihr seid noch auf?«
    »Hallo, Karl Ove«, meldete sich Mutter.
    Ich stieg langsam die Treppe hinauf und blieb stehen, als ich in ihr Blickfeld gelangte.
    Sie saßen nebeneinander auf der Couch, Vaters Arm lag auf der Couchlehne.
    »War es schön?«, sagte Mutter.
    Sah sie es nicht?
    Ich konnte es nicht fassen.
    »Es war okay«, antwortete ich und machte ein, zwei Schritte. »Wir haben ferngesehen und Lasagne gegessen.«
    »Schön«, sagte Mutter.
    »Aber jetzt bin ich ziemlich müde«, erklärte ich.

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