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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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tat. Vater hatte sich natürlich ferngehalten, nur Yngve und Alfhild, Mutter und ich waren da. Erst als das Wochenende vorbei war und sie den Hügel hinunter zum Bus gingen, näherte sich Vater mit dem Wagen. Er bremste, kurbelte die Scheibe herunter und grüßte Alfhild lächelnd. Den Blick, mit dem er das tat, hatte ich bei ihm nie zuvor gesehen. Er war voller Freude und Intensität. Einen von uns hatte er so noch nie angesehen, soviel war sicher.
    Dann schaute er nach vorn, legte den Gang ein und verschwand den Hügel hinauf, während wir weiter zum Bus gingen.
    War das unser Vater gewesen?
    Mutters Freundlichkeit und Fürsorglichkeit Alfhild und Yngve gegenüber an diesem Wochenende wurde von Vaters vier Sekunden langem Blick in den Schatten gestellt. So war es vielleicht im Grunde auch an den Wochenenden, die Yngve ohne Freundin bei uns verbrachte, wenn Vater sich möglichst lange in der unteren Etage der Scheune aufhielt und nur zu den Mahlzeiten auftauchte, bei denen die Tatsache, dass er Yngve keine Fragen stellte und ihm bloß minimale Aufmerksamkeit schenkte, trotz aller Bemühungen Mutters, dafür zu sorgen, dass Yngve sich bei uns heimisch fühlte, als der bleibende Eindruck des Wochenendes haften blieb. Vater war entscheidend für die Stimmung im Haus, keiner von uns hatte dem etwas entgegenzusetzen.
    Draußen verstummte das Dröhnen der Schneefräse abrupt. Ich stand auf, griff nach den Orangenschalen und ging in die Küche, wo Mutter inzwischen im Stehen Kartoffeln schälte, sah Vater die Auffahrt hochkommen, wobei er sich mit einer für ihn typischen Geste mit der Hand übers Haar strich, und stieg die Treppe zu meinem Zimmer hinauf, wo ich hinter mir die Tür schloss, eine Platte auflegte und mich wieder aufs Bett legte.
    Wir hatten eine ganze Weile überlegt, wie wir nach Søm kommen sollten. Jan Vidars Vater und meine Mutter würden uns mit Sicherheit anbieten, uns hinzufahren, was sie wie erwartet auch taten, als wir ihnen von unseren Plänen erzählten. Aber angesichts der beiden Tüten voller Bierflaschen ging das natürlich nicht. Die Lösung, auf die wir verfielen, bestand darin, dass Jan Vidar bei sich zu Hause erzählen sollte, meine Mutter werde uns fahren, während ich sagte, dass Jan Vidars Vater uns fahren würde. Die Sache war ein wenig riskant, denn es kam gelegentlich vor, dass unsere Eltern sich begegneten, aber die Gefahr, dass dabei die Fahrerfrage zur Sprache kommen würde, erschien uns so gering, dass wir das Risiko eingingen. Als dies geklärt war, musste nur noch die Fahrt selbst geplant werden. Busse gingen am Silvesterabend bei uns nicht, aber wir fanden heraus, dass draußen, an der zehn Kilometer entfernten Timenes-Kreuzung, einer fuhr. Also mussten wir dorthin trampen – wenn wir Glück hatten, mit einem Auto, das die ganze Strecke fuhr, wenn wir Pech hatten, würden wir von dort aus den Bus nehmen müssen. Um Fragen oder Verdächtigungen aus dem Weg zu gehen, musste dies alles geschehen, nachdem unsere Gäste gekommen waren. Also gegen sieben. Der Bus ging um zehn nach acht, so dass es, mit etwas Glück, klappen sollte.
    Sich zu betrinken erforderte Planung. Getränke mussten unbeschadet ans Ziel gebracht werden, ein sicherer Ort zum Trinken musste beschafft werden, Hin- und Rückfahrt mussten organisiert werden, und wenn man nach Hause kam, musste man seinen Eltern aus dem Weg gehen. Nach meinem ersten, glückseligen Rausch in Oslo hatte ich mich deshalb erst zwei Mal betrunken. Beim letzten Mal war die Sache beinahe schiefgegangen. Jan Vidars Schwester hatte sich gerade mit Stig verlobt, einem Soldaten, den sie im Schulungszentrum der Luftwaffe am Flughafen Kjevik kennen gelernt hatte, wo auch ihr Vater arbeitete. Sie wollte jung heiraten, Kinder bekommen und Hausfrau werden, ein eher ungewöhnlicher Zukunftstraum für ein Mädchen in ihrem Alter. Obwohl sie nur ein Jahr älter war als wir, lebte sie in einer völlig anderen Welt. An einem Samstagabend luden die beiden uns zu einer kleinen Party bei einem ihrer Freunde ein. Da wir nichts anderes vorhatten, nahmen wir die Einladung an und saßen ein paar Tage später irgendwo in einem Haus auf einer Couch, tranken selbst gekelterten Wein und sahen fern. Es sollte ein gemütlicher Abend daheim sein, auf dem Tisch standen Kerzen, und es wurde Lasagne serviert, und es hätte sicherlich ein solcher Abend werden können, wenn da nicht dieser Wein gewesen wäre, den es in rauen Mengen gab. Ich trank und wurde genauso

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