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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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abgeblieben?«, sagte Großmutter.
    »Ich bin hier«, meldete sich Vater.
    Alle drehten sich um. Er stand vor dem gedeckten Tisch im Esszimmer, hatte den Kopf unter den Dachbalken eingezogen und hielt eine Flasche Wein in der Hand, die er offenbar musterte.
    Wie war er dorthin gekommen?
    Nicht einen Mucks hatte ich gehört. Und wenn ich daheim auf etwas achtgab, dann waren es seine Bewegungen.
    »Holst du uns noch etwas Holz, bevor du gehst, Karl Ove?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich, stand auf und ging in den Flur hinaus, schob die Füße in die Winterschuhe und öffnete die Haustür. Wind schlug mir entgegen. Immerhin schneite es nicht mehr. Ich überquerte den Hof und ging in den Holzschuppen unter der Scheune. Das Licht der nackten Glühbirne an der Decke beleuchtete hart die groben Steinwände. Der Boden war fast völlig mit Rinde und Spänen bedeckt. Im Hauklotz steckte eine Axt. In einer Ecke lag die orange und schwarze Motorsäge, die mein Vater gekauft hatte, als wir eingezogen waren. Auf dem Grundstück stand damals ein Baum, der gefällt werden sollte. Als er loslegen wollte, sprang die Säge nicht an. Er musterte sie lange, verfluchte sie und ging ins Haus, um das Geschäft anzurufen, in dem er sie gekauft hatte, und sich zu beschweren. »Was stimmt mit ihr nicht?«, sagte ich, als er wieder herauskam. »Nichts«, antwortete er, »sie hatten nur vergessen, mir etwas zu sagen.« Ich begriff, dass es an irgendeiner Sicherung gelegen haben musste, die Kinder daran hindern sollte, die Säge anzulassen. Jetzt bekam er sie jedoch in Gang, und nachdem er den Baum gefällt hatte, war er den ganzen Nachittag damit beschäftigt, ihn zu zerlegen. Die Arbeit machte ihm Spaß, das sah ich. Aber nachdem das erledigt war, hatte er für die Motorsäge keine Verwendung mehr, und seither lag sie hier auf der Erde.
    Ich legte mir möglichst viele Holzscheite auf den Arm, trat die Tür auf und wankte über den Hof zurück, wobei der Gedanke, wie beeindruckt sie sein würden, alle anderen überlagerte, streifte die Schuhe ab und ging zurückgelehnt, unter meiner Bürde fast zusammenbrechend, ins Wohnzimmer.
    »Jetzt seht ihn euch an«, sagte Großmutter, als ich hereinkam. »Da hast du ja wirklich ordentlich was mitgebracht!«
    Ich blieb vor dem Holzkorb stehen.
    »Warte, ich helfe dir«, sagte Vater und kam zu mir, hob die obersten Holzstücke ab und legte sie in den Korb. Sein Mund war streng, die Augen kalt. Ich ging in die Knie und ließ den Rest fallen.
    »Jetzt reicht das Brennholz bis zum Sommer«, meinte er.
    Ich richtete mich auf, pflückte ein paar Späne von meinem Hemd und setzte mich in den Sessel, während Vater in die Hocke ging, die Ofenluke öffnete und ein paar Scheite hineinlegte. Er trug einen dunklen Anzug und eine dunkelrote Krawatte, schwarze Schuhe und ein weißes Hemd, von dem sich seine kalten blauen Augen, der schwarze Bart und seine leicht sonnengebräunte Gesichtshaut deutlich absetzten. Während des Sommerhalbjahrs war er in der Sonne, wann immer er konnte, und im August war sein Teint immer ganz dunkel, aber in diesem Winter musste er ins Solarium gegangen sein, erkannte ich plötzlich, es sei denn, er hatte am Ende so viel Sonne abbekommen, dass die Farbe nicht mehr wegging.
    Um die Augen wurde seine Haut spröde, wie trockenes Leder spröde wird, und bildete dichte, feine Fältchen.
    Er sah auf die Uhr.
    »Wenn wir vor Mitternacht noch etwas zu essen bekommen wollen, sollte Gunnar bald kommen«, erklärte er.
    »Es liegt am Wetter«, meinte Großmutter. »Er fährt heute Abend vorsichtig.«
    Vater drehte sich zu mir um.
    »Musst du nicht bald gehen?«
    »Doch«, sagte ich. »Aber ich wollte Gunnar und Tove noch guten Tag sagen.«
    Vater schnaubte.
    »Jetzt geh schon und amüsier dich. Du brauchst nicht bei uns zu sitzen.«
    Ich stand auf.
    »Dein Hemd hängt draußen über dem Schrank«, sagte Mutter.
    Ich nahm es mit in mein Zimmer und zog mich um. Eine schwarze Baumwollhose, an den Oberschenkeln weit, an den Waden eng und mit Seitentaschen, ein weißes Hemd, ein schwarzes Jackett. Den Nietengürtel, den ich anziehen wollte, rollte ich zusammen und legte ihn in die Tasche, denn sie würden ihn mir zwar nicht ausdrücklich verbieten, aber er würde ihnen auffallen, und dem wollte ich mich in diesem Moment nicht aussetzen. Darüber hinaus legte ich die schwarzen Doc-Martens-Schuhe, ein zweites Hemd, zwei Schachteln Pall Mall Light, Kaugummi und Pastillen in die Tasche. Als ich fertig war,

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