Sterbensangst (German Edition)
Schiff mitgefahren? Hat er Daphne in einer überfüllten Kirche abgeschlachtet? Mich zweimal überwältigt? Nein, das ist nicht sein Stil.«
Er spürt Pharaohs Hand auf seinem Unterarm, und diesmal schüttelt er sie nicht ab.
»Und was ist dann sein Stil? Sagen Sie es mir.«
McAvoy stößt die Luft aus. Blickt die verlassene Hauptstraße entlang, mit ihren zufälligen Konstellationen aus blinkenden Neonreklamen und kaputten Ladenschildern.
»Das soll er Ihnen selbst erzählen«, sagt er wütend. »Wir besuchen ihn.«
Pharaoh blickt zu ihm hoch. Ihre Brüste heben und senken sich vor Anstrengung, und ihr Duft erfüllt die kleine Dunstglocke, in der sie beide gefangen zu sein scheinen.
Er weicht einen Schritt zurück.
Sieht zu Boden und lenkt seine Gedanken mühsam zurück zu Daphne Cotton.
Zu Fred Stein.
Zu Angie Martindale.
Sogar zu diesem scheiß Trevor Jefferson.
Plötzlich wird ihm bewusst, dass ›gut‹ und ›schlecht‹ nicht dasselbe sind wie ›richtig‹ und ›falsch‹.
Und jetzt kennt er den Grund, warum er den richtigen Mann erwischen und die Waagschalen der Gerechtigkeit ausgleichen muss, indem er den richtigen Mörder hinter Gitter bringt. Es ist derselbe Grund, warum er nicht dem Verlangen nachgeben wird, diese leidenschaftliche, mächtige, sehr sexy aussehende Frau zu küssen.
Es liegt daran, dass irgendjemand sich um die verdammten Regeln scheren muss.
Und alle anderen sich einen Dreck darum zu kümmern scheinen.
Kapitel 24
McAvoy und Pharaoh sind noch sechzig Kilometer von Wakefield entfernt, als der Anruf bei ihnen eingeht. Sechzig Kilometer vom Gefängnis, einem ungestörten Vernehmungsraum, einem Tisch, drei Stühlen. Eine knappe Stunde fehlt ihnen, um den einzigen Mann zu treffen, der McAvoy sagen kann, ob er recht hat.
Pharaoh sitzt am Steuer und zieht das Handy zwischen den Schenkeln hervor. Sie meldet sich mit einem einzigen Wort: »Tom.« Ein paar Mal brummt sie und stößt unterdrückte Schimpfworte aus. Ihre Miene verdüstert sich immer mehr, bis sie endlich auflegt.
Stumm, mit einer Hand abwesend McAvoys Fragen abwehrend, fährt sie an den Straßenrand.
»Ich fürchte, wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht«, sagt Pharaoh.
»Was? Wir machen doch gerade Fortschritte …«
»Chandler. Er hat versucht, sich umzubringen.«
McAvoy hat ein Gefühl, als hätte man ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt.
»Wie?«
»Er hatte eine Rasierklinge in seiner Prothese versteckt. Niemand hat sie überprüft. Sie fanden ihn in seiner Zelle, er blutete aus der Kehle. Aus den Handgelenken. Den Knöcheln. Na gut, dem Knöchel …«
»Er wusste, dass wir kommen«, meint McAvoy tonlos.
»Das wusste er nicht, Hector«, sagt sie, und ihre Stimme ist beinahe nicht zu verstehen vor dem Hintergrundlärm der Sattelschlepper, die nur Zentimeter weit entfernt vorbeidonnern. »Wir sind unterhalb des Radarschirms geflogen, mein Lieber. Der Wärter tat uns einen Gefallen. Wir haben viel riskiert. Wenn sein Anwalt das herausgefunden hätte …«
»Er wusste es.«
»Hector.«
»Er wusste verdammt noch mal Bescheid.«
Schweigen breitet sich aus.
Er weiß, was sie als Nächstes sagen wird. Pharaoh ist bereits weiter gegangen, als sie verantworten kann. Sie, Spink, Tremberg und all die anderen werden beginnen, sich selbst von Chandlers Schuld zu überzeugen. Sie werden damit anfangen, alles Notwendige dafür zu tun, dass Colin Rays Fall wasserdicht bleibt. Jetzt geht es nur noch darum, den Mann hinter Gitter zu bringen.
»Sie wissen, dass er es nicht getan hat«, wiederholt McAvoy. »Jedenfalls nicht mit eigener Hand.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll, Hector. So verhält sich nur ein schuldiger Mann.«
»Ein schuldiger Mann, der aber zufällig nicht der Täter ist.«
Pharaoh schüttelt den Kopf.
»Wir haben wirklich nicht viel in der Hand, oder?«, sagt sie halb zu sich selbst. »Keiner von uns. Colin auch nicht. Wir haben die Sache von Anfang an falsch angepackt. Kapitalverbrechen und organisierte Kriminalität? Wirke ich organisiert?«
McAvoy sieht zum Fenster hinaus. Betrachtet den zornigen Himmel.
»Was denken Sie? Ganz im Ernst?«, fragt Pharaoh.
McAvoy seufzt. »Ich denke, für Chandler war es die Idee zu einem Buch, aber jemand anderes hat sehr viel mehr darin gesehen. Etwas, das nur für ihn einen Sinn ergab. Ich weiß nicht …« Er klopft sich mit einem wunden Knöchel wütend gegen die Stirn, weil es ihm nicht gelingen will, den Knäuel von Gedanken zu
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