Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
wurde von einem Förster erschossen aufgefunden«, sagte sie dann.
Miriam, Ellen und Jonas schauten erst den Knochen, dann Diane, dann einander an.
»Wie können Sie das nun wieder wissen?«, fragte Jonas erstaunt.
»Das ist der Wolf, dessen ausgestopftes und präpariertes Fell zu unseren Tierexponaten gehört. Ein mit Milo befreundeter Förster fand ihn und fror ihn ein, während er nach dem Wilderer suchte. Schließlich gab er ihn Milo fürs Museum. Wir haben sogar die Kugel in unserer Ausstellung und ein Video über die Gefahren, denen Wildtiere durch den Menschen ausgesetzt sind.«
»Puh«, rief Ellen aus. »Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie Seminare abhalten. Ich möchte Knochen auch einmal so lesen können wie Sie.«
Diane lächelte sie an. »Das ist mir gerade eingefallen.«
»Ich glaube, die Knochen dieses Burschen sollten wieder zusammenmontiert und neben seinem ausgestopften Selbst ausgestellt werden«, sagte Jonas. »Mitsamt Einschussloch und allem.«
»Einverstanden«, sagte Diane.
Alle gingen zu ihrer Arbeit zurück. Es herrschte wieder Schweigen, man hörte nur noch das Geräusch der Grabungswerkzeuge. Das Ausgraben von Gräbern war ein schreckliches Geschäft. Die Odells hatten Recht. Sie war eine Totengräberin. Die Schmerzen in ihrem unteren Rücken erinnerten sie daran, dass sie dringend etwas Wasser trinken sollte. Sie nahm einen langen Schluck und arbeitete weiter. Etwa dreißig Zentimeter entfernt von den Wolfsrippen entdeckte sie ein menschliches Becken – neben dem Schädel war das eines der wichtigsten Knochenteile, wenn es um die nähere Charakterisierung eines Menschen ging.
Sie wischte die Erde von dem großen, flachen Knochen. Dann fuhr sie mit den Fingern an ihm entlang, um seine einzelnen Merkmale zu ermitteln; birnenförmige Durchtrittsstelle in das kleine Becken, enge Incisura ischiadica, spitzer Schambeinwinkel – eindeutig männlich. Sie nahm eine Bürste und säuberte die Schambeinfuge, untersuchte den Entwicklungsstand des Knochens und suchte nach Zeichen für das Alter dieser Person – da fiel ihr Auge auf etwas, das wie eine verheilte Verletzung aussah. Sie hatte ähnliche Knochenformationen gesehen, die von Entzündungen herrührten, kannte sie aber meist von Frauen, die kurz zuvor ein Kind geboren hatten.
»Lassen Sie uns den Wolf fotografieren und dann die Knochen bergen«, sagte sie. »Ich möchte nämlich auch das menschliche Skelett mitnehmen.«
»Ich habe hier ein Schulterblatt gefunden«, rief plötzlich eines der männlichen Crewmitglieder. Diane versuchte sich an seinen Namen zu erinnern – etwas Langes, das schwer auszusprechen war. Readwald, richtig, das war es. Das Schulterblatt war immerhin drei Suchraster entfernt vom Hauptteil des Skeletts.
»Es ist allerdings in ganz schlechtem Zustand.«
»Das eigentliche Blatt ist gebrochen, der Rabenschnabelfortsatz fehlt, ebenso das Schulterdach, und die Gelenkpfanne der Skapula ist völlig zerschmettert«, flüsterte sie vor sich hin. »Haben Sie noch mehr Teile gefunden?«
»Nein. Das war’s so ziemlich.«
»Lassen Sie es bitte fotografieren und bergen Sie es.« Ihr Kopf tat ihr plötzlich furchtbar weh. Sie rieb sich die Augen.
»Ich habe es schon gezeichnet. Wollen Sie auch noch den Arm ansehen, den Sie gestern entdeckt haben?«
Diane nickte. Als sie sich wieder aufrichtete, wurde ihr fast schwarz vor Augen. Sie fühlte sich ausgesprochen schwach auf den Füßen. Glücklicherweise fragte Readwald sie diesmal wenigstens nicht, ob es ihr gut gehe. So wohlmeinend sie alle waren und so sehr sie auch Recht hatten, wünschte sie sich doch, sie würden dies nicht ständig so deutlich zeigen.
Sie stand einen Augenblick ruhig da, um sich zu sammeln, und folgte ihm dann hinüber zum Humerus. Er war jetzt völlig ausgegraben. Daneben waren deutlich Elle und Speiche und die Handknochen zu erkennen. Alles lag jetzt so sauber auf dem Boden, als ob es jemand genau so hingelegt hätte, und war doch völlig gegeneinander verschoben. Elle und Speiche schlossen verkehrt herum an den Oberarmknochen an, und die Handknochen waren unnatürlich abgewinkelt. »Gute Arbeit.«
»Es sieht jetzt wirklich wie ein Kunstwerk aus«, sagte er. »Ich meine die Knochen, nicht die Ausgrabung.«
»Ich fand schon immer, dass Knochen eigentlich recht gut aussehen. Es sind allerdings schon recht widerstreitende Empfindungen, wenn man auf die Überreste eines Massenmords schaut und einem dabei die Schönheit der Knochen
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