Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
abgebrannt, das Herrenhaus liegt in Trümmern, deine Tiere haben die Schwarzen mitgenommen. Dort, wo einst blühende Felder waren, befindet sich jetzt eine schwarze, rußige Brache. Du wirst Jahre brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Und das in zweifacher Hinsicht.«
Hermann winkte ab, deutete aber dann mit der Hand auf sich selbst. »Was ist mit mir?«
Dr. Winkler seufzte. »Du hast schwere Verletzungen im Gesicht. Sie heilen, aber langsamer, als ich es gedacht hatte. Kann sein, dass du nie wieder richtig sprechen kannst. Außerdem hattest du eine Rauchvergiftung, ein Balken hat dir die Hüfte gebrochen, daneben hast du noch zahlreiche Prellungen, einen gebrochenen Oberschenkel und zwei gebrochene Rippen. Du hast auch sehr viel Blut verloren, denn Kopfwunden bluten sehr stark. Ich kann nicht sagen, ob du jemals wieder richtig laufen kannst. Aber eines möchte ich von dir wissen, Hermann. Wissen, als dein Freund: War es das wert?«
Hermann blickte Andreas Winkler an, und es war ein Blick voll des Abschieds. In diesem Augenblick ging eine jahrelange Freundschaft zu Ende. Wehmut ließ Hermann seufzen. Er wusste, dass Andreas Winkler ihn nicht verstand, seinen Hass auf Fela nicht verstehen konnte. Und er wusste zugleich, dass er diesen Kampf gegen den Schwarzen zu Ende führen musste. Ganz gleich, ob er ihn gegen den Mann selbst oder gegen dessen Kinder führen musste.
Er streckte die Hand aus, berührte den Freund am Bein. »Ich danke dir für alles, was du für mich und die Meinen getan hast. Ich danke dir wirklich aus tiefstem Herzen.«
»Ich habe es gern getan«, erwiderte der Arzt schlicht. »Du bist mir keinen Dank schuldig. Aber was wirst du tun, wenn du wieder etwas kräftiger geworden bist? Wirst du den Ingenio erneut aufbauen?«
Hermann schüttelte den Kopf. »Meine Zeit in Trinidad ist zu Ende. Ich werde fortgehen, sobald es meine Gesundheit erlaubt.«
»Wohin?«
Hermann lächelte unter Schmerzen. »Ich weiß es noch nicht. Zunächst einmal nach Havanna, zu Mafalda und Titine. Ich habe Pläne. Sie gelten noch immer. Ich habe Verträge, die ich erfüllen muss. Und ich habe das, was ich vorhatte, noch nicht zu Ende gebracht.«
Dritter Teil
Havanna
im Jahre 1882
Z u Beginn des 19. Jahrhunderts stürzt sich Havanna … in eine erste Orgie absurder Verschwendung. Feinfühligen Reisenden erscheint der Glanz und Glitzer der Hauptstadt vor dem Hintergrund der Armut auf dem Land fast unwirklich: die luxuriösen Schmuck- und Schuhgeschäfte, deren Ruf bis nach New York dringt, die vollen Cafés und Theater. Die Oper ist nicht schlechter als die von Madrid. Nur zu gern überlässt die Zuckeraristokratie ihre Plantagen der Obhut von Verwaltern und frönt ihrer Leidenschaft für Bälle. Adelstitel sind meist frisch gekauft. Extravagante Familien beschäftigen 100 Haussklaven, dazu weitere Hundertschaften auf den Plantagen.
Erstes Kapitel
A uch zwei Jahre nach dem Brand hatte sich Hermann noch nicht von den Folgen erholt. Sein rechtes Bein war steif geblieben, und er konnte sich nur mit Hilfe einer Krücke vorwärtsbewegen. Auch sein Gesicht, durch die Narbe zu einer höllischen Fratze entstellt, schmerzte nach wie vor. Die Narbe, noch zwei Jahre später glühend rot, machte keine Anstalten, zu verblassen. Sie zog sich vom linken Lid, das zur Hälfte fehlte und Hermann einen verschlagenen, hinterlistigen Ausdruck verlieh, in einer schnurgeraden Linie bis zum Mund, der durch den Hieb gespalten war. Wenn Hermann morgens beim Rasieren in den Spiegel schaute, geschah es ab und zu, dass er vor sich selbst erschrak. Die Teufelsfratze, die ihn anblickte, war grauenerregend. Die gespaltene Lippe sorgte dafür, dass er den Mund nicht mehr richtig schließen konnte, so dass es immer wirkte, als ob er gerade die Zähne bleckte. Dazu das gespaltene Lid. Ein Wolf auf der Lauer. Ja. So sah er sich. Ein Werwolf, vor dem die Kinder schreiend flüchteten, ein Wolf, einsam und allein, von niemandem geliebt, weil diese Höllenfratze einfach nicht liebenswert war. Hermann war zwar erschrocken gewesen, als er sich das erste Mal wirklich im Spiegel sah. Und auch Mafalda war spürbar zusammengezuckt, als er einen Monat nach dem Brand in Havanna eingetroffen war. Aber Hermanns Schrecken war oberflächlich, ging nicht in das tiefste Innere seines Selbst, denn jetzt war es so, dass ein Unglück sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, dass nun sein Spiegelbild dem Bild entsprach, das er in Wahrheit von sich
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