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Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Titel: Sterne der Karibik: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrice Fabregas
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hatte.
    Mafalda hatte seine Narbe zärtlich gestreichelt. Bis heute strich sie jeden Abend behutsam eine Salbe darauf, in der Hoffnung, dass die Narbe verblassen würde. Aber Hermann wusste, dass sie es nicht tat.
    Sein Leben war anstrengender geworden. Hermann, gerade mal einundvierzig Jahre alt, fühlte sich viel älter, matter, müder. Für viele Dinge brauchte er Hilfe. So musste Mafalda ihm jeden Tag beim Waschen helfen. Er konnte nicht mehr allein ausgehen, und er wollte es auch gar nicht mehr. Sein Leben spielte sich den größten Teil des Tages in seinem Arbeitszimmer ab. Stundenlang hockte er in einem schweren Ledersessel, genoss die Kühle auf der Haut und dachte nach. Es war kein zielgerichtetes Nachdenken, das irgendwann zu einem Ergebnis führen würde, sondern ein Wust aus Gedankennestern. Er dachte an Fela, hoffte, dass der Mann tot war. Er dachte an seinen Ingenio, verspürte mal Wehmut über seinen Verlust, mal Erleichterung. Er dachte an seinen Freund Andreas Winkler, und sein Gesicht verzog sich dabei vor Verlegenheit und Pein. Er hatte ihn gemocht, diesen Arzt aus Kärnten. Nie hatte er einen besseren Freund als ihn gehabt. Der Verlust dieser Freundschaft stimmte ihn traurig, ließ ihn am stärksten seine Einsamkeit spüren.
    Mafalda, der Unermüdlichen, gelang es nicht, ihn aufzuheitern, ihm das Leben zurückzugeben. Sie sorgte für ihn, doch Hermann fühlte deutlich, dass sie es nicht mit der Hingabe einer liebenden, bewundernden Ehefrau tat, sondern aus Pflichtgefühl. Er stöhnte leise auf, wenn er daran dachte. Sie war noch immer jung und schön, gerade mal Mitte dreißig. Und sie hatte einen Krüppel zum Mann. Einen, der seinen ehelichen Pflichten nicht mehr nachgehen konnte, einen, der ihr nie ein Kind machen würde. Noch in Trinidad hatte Dr. Winkler ihm bestätigt, dass mit seiner Leibesmitte alles in Ordnung war. Doch das war nicht so. Hermann spürte nichts mehr dort. Alles blieb klein und stumm, und selbst die aufreizendsten Hafennutten vermochten es nicht, in ihm das Glühen der Lenden zu entfachen. Und so lebte er seine Tage ab, verbrachte Stunden in Wehmut und schaffte es nicht, sich aus dem düsteren Tal seiner Schuld zu befreien. Er wusste, wenn er nicht bald etwas unternahm, würde alles, alles verloren sein. Und doch konnte er nichts anderes tun, als einfach nur dazusitzen und zu grübeln. Am meisten schmerzte ihn der Verlust seiner Schwester. Seit zwei Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen, nichts mehr von ihr gehört. Sie hatte ihn verlassen, und erst jetzt wurde Hermann bewusst, dass er sie mehr brauchte als sie ihn. Das erschreckte ihn zutiefst, war er doch immer der Ansicht gewesen, es wäre genau umgekehrt. Er wusste, dass er über diese Tatsache nachdenken sollte, aber die Gedanken schmerzten zu sehr, und so schob er sie einfach von sich fort.

    Titine war still geworden. Jemand, der sie nicht besonders gut kannte, hätte meinen können, sie wäre in ihre alte Stummheit zurückgefallen, aber das stimmte nicht. Mit ihrem kleinen Sohn sprach sie. Mit ihm und mit Grazia, bei der sie jetzt wohnte. Vor zwei Jahren war sie nach Havanna gekommen, voller Wut und Empörung über Hermann und Mafalda und fest entschlossen, den allernächsten Zug zurück nach Trinidad zu nehmen. Doch eine Erkältung hinderte sie an der Reise, und als sie endlich wieder auf den Beinen war, kamen die schrecklichsten Nachrichten aus Trinidad. Andreas Winkler hatte an Joachim Groth von den Geschehnissen auf dem Ingenio geschrieben. Und so wusste Titine, dass Fela verschwunden, ihr Zuhause abgebrannt und Hermann schwer verletzt war. Mafalda war auf der Stelle zurück nach Trinidad geeilt, aber Titine war in der Hauptstadt geblieben. In erster Linie, um weder Hermann noch Mafalda sehen zu müssen. Sie war so voll gerechter Entrüstung, dass sie nicht wusste, wie sie jemals wieder ohne Hass mit Hermann oder Mafalda sprechen sollte. Stattdessen war sie zu Grazia gegangen. Grazia, die alte Kreolin, bei der sie nach ihrer Ankunft in Havanna gewohnt hatten. Grazia, von der sie so viel gelernt hatte. Wenn sie nach dem Verlust ihrer richtigen Mutter jemals wieder einer Frau töchterliche Gefühle entgegengebracht hatte, so war das Grazia gewesen. Und Grazia hatte sie aufgenommen, ohne viel zu sagen, ohne viel zu fragen. Seit mehr als zwei Jahren lebten sie nun zusammen, und dieses Leben war das einzige, das sich Titine noch vorstellen konnte. Im Grunde hatte sie immer geglaubt, sie würde sterben, wenn man ihr

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