Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
in den Sessel gebettet, aber er verkrallte sich so fest in ihr, dass sie sich nicht zu rühren wagte. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er war krank! Merkte er das nicht?
»Ich will nicht, dass du so redest, Mafalda. Hörst du? Hast du mich verstanden? Es wird alles gut werden. So wie immer.« Seine Worte klangen nuschelig, so, als hätte er etwas im Mund, einen Knebel, der sich einfach nicht herunterschlucken ließ.
Mafalda nickte, dann hob sie den Kopf und sah den Mann an, den sie einst geliebt und den sie geheiratet hatte.
»Ach, Hermann«, sagte sie sanft und griff nach seiner Hand, die schwer an seinem Körper herabhing. »Die Zeiten, in denen dir alles geglückt ist, sie sind vorbei.«
»Was willst du damit sagen?« Sein Ton klang trotz allem herrisch, aber Mafalda hörte die Angst heraus, die mitschwang. Die linke Hälfte seines Gesichtes kam ihr plötzlich starr vor, und sie bekam Angst vor seiner Wut, die so mächtig zu sein schien, dass er sich selbst nicht wiedererkannte.
Sie kannte ihn jedoch besser. Er war ein stolzer Mann, der immer gern betonte, dass er es aus dem Nichts heraus zum Zuckerbaron geschafft hatte. Sie wusste genau, wie sehr er sich wünschte, was die anderen in ihm sehen sollten. Stark, unabhängig, geschäftstüchtig, erfolgreich. Und sie wusste auch, dass er es nicht ertragen konnte, der Wahrheit ins Auge zu sehen, weil er meinte, versagt zu haben. Und ein Versagen kam für Hermann einem Todesurteil gleich. Und dabei musste er nicht so stark tun, nicht für sie, nicht für seine Ehefrau Mafalda. Sie wusste, dass er ängstlich sein konnte, schwach, ungerecht. Sie wusste auch längst, dass er sich nicht verzeihen konnte, Titine verloren zu haben, und auch, dass seine Männlichkeit abhandengekommen war. Wie gern wäre sie aufgestanden, hätte ihn in den Arm genommen und geflüstert: »Ich weiß alles über dich. Bei mir kannst du sein, wie du bist. Ich werde dich trotzdem so sehr lieben, wie ich es noch vermag. Trotz aller Fehler und Schwächen.«
Aber sie schwieg. Denn dieses Eingeständnis würde Hermann noch den letzten Funken Stolz rauben. Also musste Mafalda weiter so tun, als wäre Hermann groß und stark und mächtig und als hätte er alles im Griff und im Blick.
Plötzlich verzog er das Gesicht, Schweiß brach ihm nun am ganzen Körper aus, sein Atem ging hechelnd, die Augen verdrehten sich, so dass Mafalda nur noch das Weiße darin sah. Er fuchtelte mit dem Arm herum, sein gespaltener Mund klaffte auf, Speichel tropfte heraus. Sie erschrak furchtbar.
»Hermann, was ist mit dir?« Mafalda sprang auf, stützte ihn, wollte ihn zu einem Sessel führen, wollte Wasser holen, ihn zu Bett bringen, seine Hand halten und ihm sagen, dass alles, alles gut würde. Doch Hermann hörte sie nicht, sondern japste und stöhnte, als bereitete ihm jeder Atemzug unerträgliche Schmerzen. Dann knickten ihm die Beine weg, eine Lache breitete sich unter seiner Hose aus, sein Kopf sank nach vorn, und er wurde so schwer in ihrem Arm, dass sie ihn nicht mehr halten konnte.
Mafalda rief, nein, sie schrie nach Dolores, schickte das Mädchen zum nächsten Arzt, während sie ihren bewusstlosen Mann im Arm hielt und ihre Tränen auf sein verzerrtes Gesicht tropfen ließ.
Mafalda kam es wie eine Ewigkeit vor, bis der Arzt kam. Er sagte nur ein Wort, und Mafalda schrie leise auf: »Schlaganfall.« Dann verabreichte er ihm eine Spritze und half Mafalda, ihn in sein Bett zu bringen.
»Er braucht jetzt Ruhe. Sehr viel Ruhe. Jede Aufregung kann ihn das Leben kosten.«
Mafalda nickte. »Wird er wieder gesund?«
Der Arzt hob die Schultern. »Das kann man jetzt noch nicht sagen. Seine linke Seite, sie scheint mir gelähmt. Manchmal gibt sich eine solche Lähmung wieder, manchmal nicht. Es gibt Patienten, die verlieren durch einen Schlaganfall ihre Sprache und können nur noch lallen. Andere erholen sich zur Gänze wieder.«
Mafaldas Blicke hingen am Mund des Doktors, als wolle sie ihn beschwören. Doch der Arzt, ein schon alter Mann, der in seinem Leben sehr viel gesehen hatte, schüttelte den Kopf. »Es wäre vermutlich nicht falsch, sich um eine Pflegerin für ihn zu kümmern. Er war schon vorher kein gesunder Mann mehr.«
Mafaldas Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. »Heißt das, heißt das …« Sie wagte es nicht, die Worte auszusprechen.
Der Doktor tat es für sie, Mitleid und Bedauern im Blick. »Es ist wahrscheinlich, dass er das Bett nicht mehr verlassen kann. Er wird gefüttert werden
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