Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
müssen und gewickelt wie ein Kleinkind.«
Er betrachtete Hermann noch einmal und schüttelte abermals den Kopf. Dann legte er Mafalda eine Hand auf die Schulter. »Sie sind noch jung. Und Sie sind schön. Wenn Sie Glück haben, wird er in den nächsten Tagen sterben. Aber versprechen kann ich Ihnen auch das nicht.«
Mafalda wollte empört protestieren, doch die Blicke des Arztes waren so voller Mitleid, dass Mafalda begriff, er wollte nur das Beste für sie.
Siebtes Kapitel
V iele, viele Monate lebte Fela nun schon in den Wäldern. Sein Haar war gewachsen, hing ihm in schmutzigen Flechten bis auf die Schultern. Und auch der verfilzte Bart wurde von Tag zu Tag länger. Manchmal sprach Fela mit sich selbst, um das Sprechen nicht ganz und gar zu verlernen. Es waren keine richtigen Gespräche, die er führte, denn seine Gedanken waren keine richtigen, menschlichen Gedanken mehr, sondern drehten sich vor allem um das Überleben. Und wenn er also mit sich redete, so kommentierte er in erster Linie die Dinge, die er tat. »So, jetzt gehe ich zum Bach, um etwas zu trinken. Oh, meine Haut brennt. Ich werde die Insektenstiche mit Blättern kühlen. Was für einen Hunger ich habe! Hoffentlich finde ich heute einen Bauernhof mit ein paar freilaufenden Jungschweinen.«
Manchmal beobachtete er aus seinem Versteck heraus ein paar freigelassene Sklaven. Er sah, wie sie in die Berge gingen und essbare Ratten jagten, die mit lautem Quieken zu entkommen suchten. Sie zeigten ihm den Weg zu den reichhaltigen Kräutern, deren Reste er hernach aus der Erde zog. Niemals aber sprach er mit ihnen, im Gegenteil, er verbarg sich vor ihnen noch besser, zog Zweige und Äste, Blätter und Moos vor den Eingang seiner Grotte.
Manche dieser ehemaligen Sklaven arbeiteten bei den kleinen Bauern auf den Saatfeldern, und wenn sie nach der Arbeit zu ihren Hütten gingen, dann schlich sich Fela auf leisen Sohlen hinunter zu diesen Bauern und stahl, was er in die Finger bekam. Manchmal fand er ein paar Lebensmittel, einen Kanten Brot, ein Stück Speck, ein paar Eier, Orangen oder Maniok. Dabei musste er natürlich aufpassen, dass die Bauern ihn nicht erwischten. Und manchmal ging er auch gar nicht bis hinunter zu den Höfen, sondern blieb am Waldsaum stehen und sah sehnsüchtig auf die Bauernhäuser, die ihm im Vergleich zu den ärmlichen Negerhütten wie Luxushäuser erschienen. Die Häuser waren aus Steinen gemauert und hatten Dächer aus wilden oder einfachen Guano-Palmen. Manchmal, an Samstagen, konnte Fela sie sogar hören. Dann wurde er ganz still, setzte sich unter einen Baum, lauschte und presste die Hand auf sein wild schlagendes Herz, das sich vor schmerzlicher Erinnerung zusammenkrümmte. Die Bauern spielten auf Gitarren und winzigen Ziehharmonikas, sie trommelten auf ausgehöhlten Kürbissen, auf Pauken und hohlen Baumstämmen. Ihre Lieder waren voller Melancholie, und wenn Fela diese Lieder hörte, dann fühlte er sich für kurze Zeit wieder als Mensch. Doch sobald die Musik verklang, die Bauern ihre letzten Tänze beendeten, die Fackeln löschten und in ihre Häuser zurückkehrten, überkam Fela eine so große Sehnsucht nach diesem einfachen, aber glücklichen Leben, dass er sich im Schutz der Dunkelheit hinunter zu den Häusern schlich und verstohlen durch die Fenster spähte. Er sah die Paare beim Liebesspiel, und sein Herz zerriss beinahe vor Sehnsucht nach diesem Leben, nach seiner Liebsten, nach Titine. Oft saß er dann bis zum Sonnenaufgang unter den Fenstern der Liebenden, als müsste er sie bewachen. Stieg die Sonne am Himmel empor, schlich er sich wie ein geprügelter Hund hinauf in die Berge und weinte bittere Tränen.
Doch sobald der Montag kam, war Fela wieder der Mann ohne Gedanken und Gefühle, einzig gesteuert von seinen Trieben, vom Überlebenswillen. Und im Schatten des Mondes schlich er wieder ins Dorf und stahl von dem Hof, dessen Liebe er kurz zuvor bewacht hatte, ein Ferkelchen, schleppte es zu seiner Grotte, entzündete ein Feuer und briet das Tier. Dann schlug er seine Zähne in das noch heiße Fleisch, riss ganze Batzen heraus, während ihm das Fett von den Lippen in den verfilzten Bart tropfte. Er schlief einen ganzen Tag und noch eine Nacht, wachte auf, aß den Rest des Fleisches und machte sich dann auf den Weg, um Gemüse zu stehlen. Besonders gut schmeckte ihm die Malanga, ein Gemüse, das wild im Wald wuchs und in der Nacht anfing zu glänzen.
Er sammelte auch Tabakblätter, die er sich auf die
Weitere Kostenlose Bücher