Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
Adoptiveltern auch nicht gewusst. Maddies Leben war gut gewesen, die Kunstschule hatte gelockt, und sie hatte nicht weiter nachgefragt. Sie hatte sich eingeredet, dass sie nicht über ihre Vergangenheit Bescheid wissen musste; einzig und allein die Zukunft zählte.
Die Zukunft? Worauf konnte sie sich jetzt noch freuen? Auf ihr Witwendasein in Gesellschaft eines mürrischen Teenagers? Maddie legte das Album auf den Tisch und streckte sich. Dabei berührten ihre Fingerspitzen die Balken an der Decke, und sie spürte die alten Wurmlöcher und Schrammen darin. Alles hier zeugte von der Vergangenheit. Irgendwie musste sie es hinkriegen. Das Leben musste nicht vorbei sein, weil sie allein war. Vielleicht half es, etwas über ihre Mutter in Erfahrung zu bringen, und möglicherweise konnte sie, indem sie etwas über die Vergangenheit herausfand, leichter nach vorn blicken.
Vor Trevenen war ihre Vergangenheit unkompliziert gewesen. Zerstörte sie das nun? Verriet sie ihre Adoptiveltern, indem sie über ihre leiblichen Eltern nachforschte? Maddie rieb sich die Schläfen. Charles und Grace Smith hatten sie geliebt und von ihr lediglich verlangt, dass sie ihrem Glauben treu blieb. Maddie musste lachen. In diesem Punkt hatte sie versagt, also konnten Recherchen über ihre leiblichen Eltern nicht viel mehr Schaden anrichten.
»Trevenen, welche Geheimnisse birgst du noch für mich?« Schaudernd blickte sie durchs Fenster zu dem Baum hinaus. Ihre Mutter Nancy hatte genau dort für den Fotografen gelächelt und hier mindestens einen Sommer mit Daphne verbracht. Wie war ihr Verhältnis zu Daphne gewesen? Und wer kannte die Antworten auf diese Fragen?
7
M addie sah sich das Foto ihrer Mutter immer wieder an, sie konnte gar nicht genug davon bekommen. Sie hatte sogar ein Bild aus dem Album herausgenommen und in ihren Skizzenblock gelegt. An diesem wunderschönen Tag, der sie eigentlich kreativ inspirieren sollte, beschäftigten sie Fragen über ihre Herkunft. Was war damals passiert? Wer war ihr Vater? Wo steckte er?
Es war Anfang Oktober, fühlte sich aber an wie August. Die Sonne brannte heiß auf Maddie herunter, als sie, gegen ihren Rucksack gelehnt, die Schafe beim Grasen auf dem Nare Head beobachtete. Es war windstill, und das sanfte Plätschern der Wellen unter ihr schläferte sie fast ein.
»Hallo, wen haben wir denn da?«, hörte sie Marks Stimme.
Sie lächelte mit geschlossenen Augen.
»Würde ein Kuss unser Dornröschen wohl wecken?«
Als sie die Augen aufschlug, war sein Gesicht so nah, dass sie seine langen Wimpern erkennen konnte. Eine kleine Bewegung ihrerseits, und ihre Lippen würden sich berühren. Was wollte sie? Mark flirtete praktisch immer, er konnte nicht anders, aber sie war normalerweise nicht so.
»Hi.« Maddie bemühte sich, obwohl von der Hitze träge, um Vernunft.
Mark richtete sich auf. »Sieh da, sie erwacht.«
Maddie blinzelte. »Ich muss in Zukunft vorsichtiger sein. Man kann nie wissen, wer hier rumschleicht und mich mit einem Kuss aus meinem Schönheitsschlaf zu wecken droht.«
»Ja, zum Beispiel Nelly, das Schaf da drüben.«
Maddie musste lachen. »Was führt dich hierher?«
»Die Küstenwache.«
Maddie legte den Kopf ein wenig schief.
»Bei denen funktioniert das Telefon nicht, weil auf der Straße neue Masten aufgestellt werden. Man hat mir das vergessene Lunchpaket anvertraut.«
»Du rettest wieder mal jemanden?«
»Du kennst mich doch.«
»Ja«, sagte sie, obwohl sie das Gefühl hatte, ihn überhaupt nicht zu kennen.
»Bin gleich wieder da.« Er entfernte sich mit langen Schritten.
Als Maddie ihm nachblickte, stellte sie überrascht fest, dass sich Begierde in ihr regte. Warum auch nicht?, dachte sie. Man musste sich nicht alles versagen. Sie verglich die Skizze von Falmouth Bay auf ihrem Schoß mit dem Ausblick. Ein Tanker mit rotem Rumpf lag dort vor Anker, ein prächtiges Motiv. Ihr erster Versuch, es festzuhalten, war leider kläglich gescheitert.
Maddie nahm ihre Wachsmalstifte und ein leeres Blatt Papier aus ihrem Rucksack. Einige Minuten lang konzentrierten sich ihre Gedanken ausschließlich auf die Farben und Formen. Glückseligkeit und Erlösung.
Als Mark zurück war, begutachtete er ihr Werk. »Das ging aber schnell.«
Maddie hob den Blick. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt. Solche Momente der kreativen Vertiefung waren in letzter Zeit sehr selten gewesen.
»Manchmal ist das so.«
Sie legte das Blatt Papier weg und griff zum Block, um mit einem Kohlestift grob
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