Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
die Konturen von Marks Gesicht zu skizzieren. Als sie zu seinem Mund kam, verrieb sie mit dem Daumen den Schatten unter seiner Lippe, hielt inne und schaute ihn an. Er erwiderte ihren Blick. Sie schluckte.
Diesmal hatte das Zeichnen sie nicht aus der Welt entrückt, sondern wieder in sie zurückgeholt. Ihre Hand wanderte zu ihrem Mund. Mark beobachtete sie. Plötzlich fing er zu grinsen an.
»Auf dem Papier sieht die Holzkohle deutlich besser aus, aber du trägst sie mit Würde.«
Maddie lachte. Ihre Finger waren schwarz.
Er nahm das Foto aus dem Skizzenblock in die Hand. »Sie war sehr schön. Du hast große Ähnlichkeit mit ihr.«
Maddie brachte ihre Beine in eine bequemere Position. »Danke.«
»Ist es ein gutes Gefühl, endlich ein Bild von ihr zu haben?«
Maddie zögerte. »Ich weiß es nicht.« Sie blickte aufs Meer hinaus, wo ein Segelboot in dem leichten Wind nur langsam vorankam. »Die Fotos sind wunderbar, aber …« Maddie rang um Worte. »Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, nichts zu wissen.« Sie lachte trocken. »Klingt schrecklich, oder?«
»Nein. Das kann ich verstehen. Manche Dinge lässt man besser ruhen, weil sich nichts ändert, wenn man die Antwort auf seine Fragen kennt.«
»Stimmt.« Maddie stand auf. »Bist du mit dem Wagen da?«
Er nickte.
»Nimmst du mich mit?«
»Klar.«
»Du siehst glücklich aus«, bemerkte Tamsin lächelnd.
»Hmm.« Hannah spielte mit dem Herzchen an ihrer Halskette.
»Das Leben hier ist gar nicht so übel, was?«
»Kein Kommentar.«
»Könnte deine gute Laune damit zusammenhängen, dass bald ein gewisser Jemand nach Hause kommt?«
Hannah betrachtete ihre Hände. »Keine Ahnung, was du meinst.«
»Natürlich. Wie dumm von mir. Du bist so euphorisch, weil du für eine Matheprüfung büffelst«, erklärte Tamsin mit ernstem Gesicht, und Hannah musste lachen.
»Genau.« Hannah nahm ihre Schuhe und verließ Tamsins Haus durch die hintere Tür. Sie wusste nicht, warum die Aussicht, Will wiederzusehen, sie in solche Aufregung versetzte. Er kam am Freitag zurück, und am Samstagabend fand eine Veranstaltung im Segelklub statt. Zwar hatte er sie nur über Tamsins Jungs gefragt, ob sie ihn begleiten wolle, aber sie wäre auf jeden Fall hingegangen. Weil sonst nichts, aber auch gar nichts los war.
Nicht einmal das Internet bot Ablenkung, denn Maddie hatte sich noch nicht darum gekümmert. Sie gab dem Haus die Schuld oder besser gesagt den Leitungen im Haus. So konnte Hannah nur über die Schulcomputer mit dem Rest der Welt kommunizieren. Hier lebte sie verdammt noch mal im finstersten Mittelalter.
Hannah legte ihren Rucksack auf die Hecke und nahm ihr Handy heraus, um Abis SMS noch einmal zu lesen.
Hab gestern Abend mit Andrew geknutscht. Toll. Weiß, dass du auf ihn stehst, aber du bist ja nicht da. Hoffe, du hasst mich jetzt nicht. X
Hannah kaute auf ihrer Unterlippe. Wie fühlte sie sich? Sie gab ihre Antwort ein.
Hasse dich nicht. Fühle mich ein bisschen außen vor. Nicht dass ich flotte Dreier mögen würde. Wann kommst du mich besuchen? X
Bevor sie auf »Senden« drückte, genoss sie kurz den Ausblick. Hier war sie hoch genug oben, um die Senke, die Felder, die Bäume und das Meer sehen zu können. Die Schönheit dieses Ortes, das merkwürdige Zusammenwirken von Natur und Mensch, ließ ihr Herz jedes Mal höher schlagen. Heute war die Luft so klar, dass sie trotz der Entfernung fast meinte, das Wasser berühren zu können.
Sie musste zugeben, dass sie in Fulham nie etwas auch nur annähernd Schönes gesehen hatte. Die Themse war ganz okay, aber die Dreckbrühe raubte einem nicht gerade den Atem.
Sie drückte auf »Senden«, nahm ihren Rucksack und machte sich auf den Weg nach Hause. Halt. War Trevenen ihr Zuhause? Nein, aber sie hatte kein anderes mehr. Trevenen war der Ort, an dem sie momentan lebte. Das Dach über dem Kopf, das den Regen abhielt – halbwegs. Nein, das war nicht fair. Trevenen war interessant; sie durfte dem Haus gegenüber nicht ungerecht sein. Das würde sie sich für Maddie aufsparen, die sie hierhergeschleift hatte. Ja, Maddie war an allem schuld, auch daran, dass Abi mit Andrew geknutscht hatte.
Maddie warf ein paar Röcke auf ihr Bett. Sie wusste nicht, was sie anziehen sollte und warum sie sich auf Gunnars Essenseinladung eingelassen hatte. Nein, das stimmte nicht. Er sah toll aus, und das reichte als Grund. Aber sie war so lange mit niemandem mehr verabredet gewesen. Sie durfte sich nicht in die Sache
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