Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
auf den Stuhl. Er ging um die Rückseite herum, bis er das Rednerpult mit der anderen Hand erreichen konnte, zog sich hinüber und musste sich dabei fast mit seinem gesamten Gewicht aufstützen. Die Jungen schwiegen, und er sah sie an, einen nach dem anderen. So viele Gesichter waren aufgeplatzt, mit Veilchen übersät, abgehärmt und voller Angst. Wenn Kieran jetzt aufgab, würde ihr Leben ganz genauso weiter verlaufen. Er wusste nicht, ob er mit diesem Wissen leben konnte. Nein. Er konnte nicht nachgeben und gestehen. Stattdessen durchwühlte er sein Hirn nach etwas, was er sagen konnte. Die Wahrheit. Das war es, was sein Vater immer gesagt hatte.
Die Wahrheit ist mächtig.
»Bei einer fairen Verhandlung hält man den Zeugen kein Gewehr an den Kopf«, krächzte er ins Mikrofon. Sein Mund war Gummi, seine Stimme verwelktes Gras.
»Was tust du da?«, flüsterte Seth. »Komm schon, Mann. Lass uns das beenden.«
»Diese Verhandlung fußt auf Lügen«, raspelte Kieran.
»Was hat er gesagt?«, brüllte ein pubertierender Junge. »Ich kann ihn nicht verstehen!«
»Er hat gesagt, dass es ihm leidtut«, log Seth. »Entschuldigung für alles, was er getan hat. Also werden wir das hier alles vergessen und ihm jetzt was zu essen besorgen.«
Kieran schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht gesagt«, schrie er. »Ich werde nicht gestehen. Ihr werdet mich umbringen müssen.«
Im Auditorium herrschte Schweigen. Selbst die kleineren Jungen hatten mit dem Weinen aufgehört.
Seth schob Kieran zur Seite und stellte sich ans Rednerpult. Kieran stolperte über seine Füße, versuchte sich abzufangen, fiel zu Boden und rappelte sich mühsam wieder auf.
»Das Gericht verurteilt Kieran Alden zur öffentlichen Hinrichtung«, gab Seth bekannt. Dann wandte er sich an Sealy: »Bring ihn in den Shuttle-Hangar.«
Der kleinere Junge starrte Seth an.
»Los, mach schon!«, brüllte Seth ungeduldig.
»Aber –« Sealys Blick lag auf Kieran.
Das ist es,
dachte Kieran. Er hatte Angst, aber er würde seine Augen nicht schließen. Wenn sie ihn töten wollten, sollten sie dabei seine Augen sehen. Er schaute Sealy abwartend an.
»Verdammt noch mal«, schrie Seth. »Max! Bring ihn hier raus!«
Aber Max konnte sich nicht bewegen. »Ich dachte nicht, dass wir tatsächlich jemanden umbringen«, sagte er schließlich.
»Denken gehört nicht zu deinen Aufgaben, Max!« Seth stürzte auf ihn zu und griff nach seiner Waffe.
Kieran war näher an Max als Seth. Er konnte nicht kämpfen, aber er konnte hinfallen. Er traf Max’ Knie, und der Junge stürzte, sein Gewehr fiel zu Boden. Kieran nutzte das letzte bisschen Kraft, um sich auf die Waffe zu werfen und sie mit seinem Körper abzuschirmen.
»Verdammt, du Bastard!«, schrie Seth. »Wieso gibst du nicht auf?«
Seth prügelte mit beiden Fäusten auf Kieran ein, der Speichel flog von seinen Lippen. Kieran hielt durch, ertrug Seths Schläge, drückte sich Max’ Gewehr an die Brust. Entweder lebte oder starb er. Leben oder Sterben. Er wollte leben, um Waverly wiederzusehen, also holte er tief Luft und kreischte: »Helft mir!«
Plötzlich war Seths Gewicht verschwunden. Sarek hatte ihn im Schwitzkasten und zog ihn zurück. Seth krallte nach Sarek und trat nach Kieran, bis ein ungefähr Siebenjähriger sich an eines seiner Beine hängte. Noch einer, sogar noch jünger, griff sich Seths anderes Bein. Schnell war er von einem Schwarm von Jungen umringt, die alle wie besessen nach Rache schrien.
Die Menge stand unter Strom. An mehreren Orten brachen Kämpfe aus. Einige versuchten Seth und seine Wachen zu verteidigen, wurden aber durch die zahlenmäßige Überlegenheit ihrer Gegner überwältigt. Ein Haufen Jungen schnappte sich Sealy, nahm ihm sein Gewehr und zog ihn zu Boden. Max versuchte durch die Tür zu entkommen, aber ein großer Zwölfjähriger warf sich ihm in die Beine, und er stürzte schwer.
Es war vorbei.
Arthur Dietrichs rundes, sommersprossiges Gesicht tauchte vor Kieran auf. »Geht es dir gut?«, fragte er.
Kieran winkte ihn näher heran. »Wirf sie in die Brig. Sammle alle Waffen ein und bring sie mir.«
Arthur kämpfte sich einen Weg durch die Meute um Seth und rief Sarek etwas zu. Dann sah Kieran etwas Wunderbares: Sarek schleifte mit Hilfe von acht anderen Jungen den fauchenden Seth aus dem Auditorium.
»Das wirst du noch bereuen!«, schrie er Kieran an, ehe sie ihn wegbrachten.
Währenddessen hatte Arthur die Waffen besorgt und brachte sie zu Kieran.
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