Sternenschimmer
Stirn.
Iason grinste.
»Das ist nicht komisch«, beschwerte ich mich.
»Mia.« Er legte die Hände um meine Taille und neigte den Kopf an mein Ohr. Das Wasser in seinem Haar tropfte auf meine Schulter. »Das Gänseblümchen, das du geköpft hast, war längst abgestorben. Und das andere«, er wies erneut auf die angebliche trauernde Schwester, »kannte die Blumengreisin nicht einmal.«
Meine Augen wurden schmal. »Du veräppelst mich doch!« Na warte!, schimpfte eine innere Stimme mit mir.
Anstatt Angst zu zeigen, wich Iason lachend zurück. »Falls du jetzt vorhast, mir den Kopf abzuhacken, bedenke, du brauchst mich noch.« Er deutete mit dem Finger auf einen Eichelhäher, der über uns auf einem Tannenzweig saß. »Zudem hätten wir einen Zeugen.«
Ich zog die Stirn kraus, bis mir das Wasser in die Augen floss, sagte aber nichts mehr.
Die Wolkendecke riss auf, und Iason verfiel mit dem Eichelhäher in eine ausgelassene Unterhaltung.
Mit dem Nachlassen des Regens siegte auch meine Neugier. »Kannst du wirklich alle Tierlaute?«
»Ich kann doch auch deine Sprache.«
»Wie machst du das?«
Iason tippte sich gegen die Schläfe.
Ich winkte ab, bevor er überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte. »Jaja, ich weiß. Pure Konzentration.«
In diesem Augenblick klingelte Iasons iCommplete. Er zog es hervor und schützte es mit der freien Hand vor dem Niesel.
»Hallo.« Einen Moment lang lauschte er dem Anrufer. »Klingt gut. Warte, ich frage Mia.« Er schaute mich an. »Frank trifft sich später mit Lena im Luxus , dieser neuen Bar am Stadtpark. Er fragt, ob wir auch kommen?«
»Ich hätte schon Lust, aber ich hab Greta versprochen, sie zu besuchen.«
Iason hielt wieder den Hörer ans Ohr. »Frank? Wir müssen das erst noch klären. Ich rufe gleich zurück.«
»Wer ist Greta?«, erkundigte er sich und steckte das iCommplete zurück in die Innentasche seiner Jacke.
»Franks Schwester. Sie hat in der Südringstraße eine kleine Flugschiff-Werkstatt, in der sie handwerkliche Projekte zur Selbstbehauptung von Frauen leitet.«
»Dann geh doch jetzt schon zu ihr. Ich hole dich später dort ab und wir treffen uns mit Frank in der Bar.«
»Und die Arbeit?« Ich zeigte auf den Müll, der vor meinen Füßen lag.
»Die mach ich für dich mit.«
»Wirklich?« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Schnell schlüpfte ich aus der Arbeitskleidung und drückte ihm meinen Rechen in die Hand. »Du bist ein echter Schatz. Ich mach’s wieder gut.«
»Bleibe einfach so, wie du bist, das genügt.« Er schenkte mir ein umwerfendes Lächeln.
Fast bereute ich meine Entscheidung, Greta zu besuchen. Bevor ich noch mehr ins Wanken geriet, erklärte ich ihm schnell den Weg zu Gretas Werkstatt und eilte zum Ausgang.
Als ich in das Schiff in Richtung Süden der Stadt stieg, dachte ich an sein bezauberndes Lächeln zurück. Was war nur los mit ihm? Auf der einen Seite sprach er immer wieder davon, wie sehr er sich nach Loduun zurücksehnte, und andererseits benahm er sich, als wäre er ein bisschen in mich … Nein … Nein, Loduuner konnten ja nicht lieben. War Iasons Verhalten mir gegenüber nur eine Auswirkung seines Sinns? Eine zwangsläufige Folge, die ihm gar nicht bewusst war? Es gab Zeiten, da hatte ich einen ganz anderen Iason kennengelernt. Aber jetzt? Er war so zuvorkommend und charmant zu mir, dass ich ein richtig schlechtes Gewissen bekam, wenn ich manchmal meine Launen an ihm ausließ. Warum tat ich das eigentlich? Ich seufzte tief. Mir war so klar, warum. – Um Abstand zu wahren. Ich musste aufpassen. Iason würde irgendwann gehen, vielleicht nicht heute oder morgen, doch irgendwann war es so weit.
Es begann wieder zu regnen. Das Schiff hielt an, und ich bemerkte, dass wir nur noch eine Station von der Haltestelle entfernt waren, an der ich aussteigen musste. Eilig raffte ich meine Sachen zusammen und ging schon mal zum Ausgang. Während ich wartete, lauschte ich dem Prasseln auf dem Dach und verfolgte missmutig die Schlieren, die an den Scheiben hinabrannen. Bis sich das Schiff erneut senkte. Ich stieg aus und watete durch die überspülten Gehwege, die sich zwischen den fortlaufenden Häuserreihen entlangzogen. Schützend hielt ich meine Tasche über den Kopf, was leider nur dazu führte, dass meine Ordner und Hefte auch noch nass wurden. An einer Bäckerei bog ich nach links ab, fuhr drei Terrassen tiefer und nutzte dann die Rolltreppe bis ganz nach unten. Von dort aus konnte ich schon den zugewachsenen
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