Sternenstaub
war ich so geübt darin, meinen Schutzschild hoch- und runterzufahren, dass ich Lokondra wirklich nur die Gefühle spüren lassen konnte, die ich bereit war, mit ihm zu teilen. Was auch vollkommen ausreichte, denn jeder, der mich kennt, weiß, ich fühle eine Menge , wahrscheinlich mehr, als gesund ist. Insbesondere für einen Loduuner. Solange ich also sparsam mit meinen Geheimnissen umging, würden ihn meine ganzen anderen Emotionen so sehr auf Trab halten, dass er gar nicht merkte, was ich vor ihm verbarg. Wahrscheinlich konnte er sich nicht mal in seinen schlimmsten Träumen vorstellen, was für ein Emohippie ich wirklich war. So gesehen tat ich ihm sogar einen Gefallen damit. Deshalb wandte ich meine neu gewonnene Kraft aber nicht an, nein, ich tat es, um einen letzten Rest Selbstbestimmung zu behalten. Momentan sah ich jedoch keinen Anlass, meine Gefühle vor ihm zu verstecken.
Lokondra gab mir einen zarten mentalen Schubs.
Ich wandte den Kopf, weil er neben mir saß.
»Beruhige dich«, sagte er lächelnd. »Gleich wirst du sehen, wie gut es Tony geht. Ich habe angeordnet, dass der Kleine bevorzugt behandelt wird. Erst gestern hat mir die Domestikatorin, die für ihn zuständig ist, versichert, dass es ihm an nichts fehlt.«
Ich war erstaunt. »Du hast extra noch mal nach ihm gefragt?«
Er lächelte. »Jeden Tag.«
Ich musste zugeben, seine fürsorgliche Art verwirrte mich. Sie passte eindeutig nicht zu meinem sonstigen Bild von ihm. Und doch war sie da, ich spürte sie ganz deutlich. Dieser kaltblütige, erbarmungslose Loduuner hatte tatsächlich auch eine sanfte Seite. Und mit diesem Gedanken drängte sich mir eine nächste Frage auf: Wie konnte er diese beiden Charakterzüge miteinander vereinen?
Lokondra griff in die Innentasche seines Jacketts und holte die kleine Flasche mit dem schillernden Inhalt hervor. Er öffnete den Verschluss mit dem Daumen und gab ein paar Tropfen davon in seinen Drink. Anschließend kippte er ihn mit einem Zug herunter und schaute lächelnd geradeaus. Mir war schon klar, dass er mich bewusst nicht ansah, so als wollte er sagen: Ich habe dich genau verstanden.
Wenige Minuten später landeten wir auf einem umzäunten Gelände mit kleinen Hütten und einer Art Fabrikgebäude darauf. In den Hütten, das wusste ich ja schon, schliefen die Kinder. Als Lokondra die Leiterin des Lagers sah, entschuldigte er sich für einen Moment und ging mit ihr in das Bürogebäude. Ich aber wurde von einer anderen Frau zum Hauptgebäude geführt. Dort gelangten wir in einen Speisesaal mit langen weißen Tischen, die in bestimmt zwanzig Reihen nebeneinander aufgebaut waren. Dieses um sich greifende klinische Design hier fraß mich echt an. Nirgendwo war Farbe in Lokondras Leben. Außer in seiner Suite, versteht sich. An der weißen Wand über dem Eingang des Speisesaals hing ein großes Portrait von ihm. Es grenzten viele Türen an, die, einem kurzen Blick nach zu schließen, zu den Unterrichtsräumen führten. Aus dem einen ganz hinten kam jetzt eine Domestikatorin – mit Tony an der Hand.
Als der Kleine mich sah, blieb er stehen. »Mia?«, fragte er, so als wüsste er nicht, ob er seinen Sinnen Glauben schenken konnte.
»Tony!« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Mia«, sagte er noch einmal. Und ich wieder »Tony.«
Da erst traute er seinen Augen, und ich schwöre, in sein Gesicht trat ein Strahlen, das den ganzen Raum erhellte. »Mia!« Er flitzte quer durch den Raum auf mich zu. Ich ging in die Hocke und breitete die Arme aus, um ihn aus vollem Herzen zu empfangen. Er lebte! Mein kleiner Sonnenschein war am Leben! Aber als Lokondra in dieser Sekunde den Saal betrat, blieb Tony wenige Schritte vor mir stehen. Angst und Verwirrung zeichneten sich in seiner Miene ab und verloren sich schließlich in bodenloser Enttäuschung. »Du bist mit ihm gekommen?«
Natürlich musste ihn das schockieren. Ich ließ die Arme sinken und versuchte, den Kloß hinunterzuschlucken, der sich nun in meinem Hals zusammenzog. »Ja«, sagte ich heiser. Es war klar, wie das hier auf ihn wirken musste.
Tony stand einfach nur da und sah mich fassungslos an.
»Es ist nicht so, wie du denkst«, flüsterte ich.
Doch Tony deutete ein Kopfschütteln an.
Ich streckte die Hand nach ihm aus.
Er ging einen Schritt zurück.
»Bitte, Tony.«
Wieder schüttelte er den Kopf.
Ich spürte eine beängstigende Hitze in mir aufsteigen, aber bei dem Hochbetrieb, der da in meinem Gehirn herrschte, bemerkte ich
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