Sternenwind - Roman
ein weißes Band, das wir uns um den Oberarm legen sollten. Sie umarmte uns, als sie uns die Bänder gab. Ihre Augen waren von Tränen gerötet. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Ich glaube an dich und deinen Bruder, und ich weiß, dass ihr es manchmal nicht leicht habt, vor allem jetzt. Ich werde euch helfen, wo ich kann.«
Ich erwiderte die Umarmung ganz fest und hätte sie am liebsten gar nicht mehr losgelassen. Aber hinter uns wartete bereits die nächste Person. Also wandte ich mich von ihr ab und half Joseph beim Anlegen der Armbinde.
Es waren bestimmt einhundert Binden, die von Eltern, Brüdern, Schwestern, Lebensgefährten und Kindern getragen wurden. Jeder mit einem weißen Band stand im inneren Kreis rund um die Scheiterhaufen. Marys Ehemann Jonas war nicht weit von uns entfernt. Sein Gesicht war eine Maske der stoischen Ruhe, abgesehen von den Tränen, die ihm über die Wangen liefen.
Das Holz sah trocken aus. Offenbar hatte es den Sturm in einem Lagerhaus überstanden. Ein Suchtrupp hatte sich den Hochweg hinaufgekämpft und war mit drei weiteren Leichen zurückgekehrt. Das waren alle, die sie gefunden hatten oder erreichen konnten: Therese, Mary und Rob. Sie waren in längliche blaue Leichentücher gehüllt. Jemand hatte gelbe Blumen auf Thereses Tuch gestreut. Ein weiteres Mal war ich dankbar, dass die Gesichter der Toten zugedeckt waren. Ich wollte mich an sie erinnern, wie sie im Leben gewesen waren, wie sie sich bewegt und gelächelt hatten.
Fünf hohe Scheiterhaufen drängten sich auf der Lichtung, und rundherum waren fünf Holzstapel für die vermissten Toten errichtet worden. Wir würden jeden von ihnen ehren.
Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Wir wandten uns nach außen, um zu beobachten, wie die Lebenden uns beobachteten.
»Dies sind eure verbleibenden Familienangehörigen«, intonierte Nava irgendwo rechts von uns. »Sie umarmen euch in eurer Trauer.«
Elektrisches Licht erhellte die Menge von hinten, so dass wir die Menschen als Silhouetten sahen, in mehreren Reihen hintereinander. Den Abschluss bildeten die Lampen und die grünen Bäume, die mit roten Früchten gesprenkelt waren. Der leichte Abendwind wehte auf mich zu. Ich nahm gleichzeitig den Duft von Äpfeln und einen metallischen Brandgeruch wahr, der von der Schmelzhütte kam. Sie ließ sich nicht wegen etwas so Banalem wie einer Trauerfeier außer Betrieb setzen. Nicht, wenn sich die Kolonie im Krisenzustand befand.
»Wir haben uns versammelt«, fuhr Nava fort, »um das Dahinscheiden unserer Stadtvorsteher zu betrauern, Steven und Therese, und das von acht weiteren tapferen Seelen. Gi Lin … Mary … Rob … Hans … AnnaLisa … Barnil … Thang … Jackson.« Nava ließ auf jeden Namen einen Moment des Schweigens folgen, bis sie den nächsten nannte.
»Sie alle werden uns fehlen«, sagte sie, als die Liste vollständig war. »Dies ist die größte Trauerfeier seit dem Krieg.«
Ich schluckte. Wir erinnerten Nava an den Krieg. Für uns war er nur eine undeutliche Kindheitserinnerung, aber viele Erwachsenen litten immer noch unter den Verlusten durch den Krieg. Ihre Angehörigen waren von unseren richtigen Eltern getötet worden, von unserem Volk. Dafür hassten sie uns, als hätten wir die Schüsse abgegeben. Einige vererbten ihre Ängste an ihre Kinder, so dass auch Garmin und ein paar andere uns hassten. Der Krieg war unser unliebsamer Schatten, und ich wollte nicht, dass er auch über diese Beerdigung fiel.
»Das sollte uns daran erinnern«, fuhr Nava dennoch fort, »dass wir uns weiterhin im Krieg mit Fremont befinden. Wir werden diesen Kampf gemeinsam ausfechten, und wir werden siegen. Wir werden in Artistos alles wieder aufbauen, was zerstört wurde, und wir werden in die Zukunft blicken und die Familien wieder aufbauen, die zerbrochen wurden.«
Während der folgenden Schweigepause dachte ich über ihren neuen Führungsstil nach. War es reine Politik, wenn sie sich um meinen Bruder und mich kümmerte, oder spielte noch etwas anderes hinein? Wahrscheinlich nicht. Wir waren Symbole für das Leben, das Therese und Steven geführt hatten. Die ehemaligen Stadtvorsteher hatten uns aufgenommen, also würde es auch Nava tun. Brennende Wut drohte neben meiner Trauer aufzusteigen, aber ich drängte sie zurück. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Kleine Feuer flammten auf, insgesamt zehn Fackeln. Tom brachte eine zu mir. Sie war so lang wie mein Arm, und an der Spitze brannte
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