Sterntaler: Thriller (German Edition)
drückte ihre Hand. »Wir kennen unsere Kinder nicht so gut, wie wir es uns wünschen. Das ist einfach so.«
Er sah ihr an, dass sie anderer Ansicht war, doch sie erwiderte nichts. Stattdessen wischte sie die Tränen ab und zeigte ihm noch eine Sehenswürdigkeit.
»Als Rebecca ein Baby war, bin ich mit dem Kinderwagen immer hierhergekommen«, sagte sie und zeigte auf eine verwilderte Wiese, die zwischen einem Spielplatz und einem großen Haus lag. »Das war meine Oase. Hier habe ich mich ins Gras gesetzt und gelesen, während sie schlief.«
Wo war er selbst gewesen, als die Kinder klein gewesen waren? Alex besaß keine vergleichbaren Erinnerungen. Er hatte keine Oasen gebraucht, er hatte ja stets seinen Job gehabt. Und derweil hatte Lena zu Hause alles geregelt. Was hatten sie sich eigentlich dabei gedacht, verdammt noch mal?
Er musste an seine Tochter denken. Hoffentlich machte sie nicht die Fehler ihrer Eltern. Sogar ein Mann wie Spencer Lagergren hatte schließlich begriffen, was es bedeutete, Elternzeit nehmen zu können. Nur wenn die Kinder noch klein waren, konnte man den Grundstein für eine gute Bindung zu ihnen legen. Wenn sie größer wurden, war diese Chance vertan. Manche Sachen konnten einfach nicht nachgeholt werden. Und die Kindheit war so eine Sache.
Was Spencer Lagergren anging, hatte Alex aber doch insgeheim Zweifel. Dessen Elternzeit stellte wahrscheinlich eher eine Flucht dar als ein tief gehegtes Interesse für seine Tochter.
Da erst fiel Alex auf, dass er nichts mehr von Fredrika gehört hatte, seit er sie angerufen hatte. Er machte sich Sorgen, wie sie wohl ihre derzeitige Lebenssituation in Ordnung bringen würde.
»Woran denkst du?«
»Nichts«, sagte er. »An eine Freundin, die gerade Ärger hat.«
Sie gingen zurück. Woher kamen nur all diese lauen Frühlingsabende? Das Dach ihres Hauses glänzte schwarz gegen den Abendhimmel. Die Tür zeichnete sich wie ein Portal in das Unbekannte ab, das zu erforschen er noch nicht gewagt hatte.
»Bleibst du?«
Er wollte. Aber er konnte nicht.
Aber er wollte.
Er wollte es mehr, als er seit Langem etwas gewollt hatte. Und das Zögern tat weh.
Er rang um die richtigen Worte, und als er den Mund aufmachte, kamen sie ganz von selbst.
»Ich kann nicht.«
So kam es, dass sie sich an seinem Auto trennten. Sie tat, was sie schon früher getan hatte, beugte sich vor und küsste seine Wange. Und er öffnete die Fahrertür und setzte sich hinters Steuer. Fuhr hundert Meter die Straße hinunter, ehe er sich eines Besseren besann. Den Rückwärtsgang einlegte. Das Auto abstellte und an ihrer Tür klingelte.
Er wollte. Und er konnte.
Es gibt keinen rührenderen Anblick als schlafende Kinder, dachte Peder Rydh, als er seine Söhne betrachtete. Die Sicherheit, die sich in ihren Gesichtern abzeichnete, war eine einzige Bestätigung dafür, dass man das Richtige getan hatte. Dass er früh genug von der Arbeit nach Hause gekommen war. Dass er sich wie ein erwachsener Mensch verhalten hatte und nicht wie ein von Panik gepackter Teenager. Dass er Verantwortung übernommen und Respekt gezeigt hatte.
Ylva trat hinter ihn, legte ihre schlanken Arme um seine Taille und lehnte den Kopf an seinen Rücken. Er liebte es, ihre Nähe zu spüren.
Sie verließen das Kinderzimmer und setzten sich auf den Balkon, wo Peder seine Arbeitspapiere auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Ylva las einen Roman, während Peder sich in die Unterlagen vertiefte und einen Artikel über Thea Aldrin zu Ende las. Und schon drehte sich das Karussell wieder. Eine Autorin und ein toter Mann. Ein Filmclub und eine fantastische Schriftstellerkarriere. Ein toter Anwalt und das Gerücht von einem toten Sohn.
Der Filmclub und die Schriftstellerin verbinden den ganzen Mist miteinander, dachte Peder. Und nur weil wir nicht sehen, wie genau diese Verbindung funktioniert, gehen wir immerzu Umwege.
Er dachte an Valter Lund, der möglicherweise ein Verhältnis mit Rebecca gehabt hatte, und an Morgan Axberger, der Lunds Chef und außerdem Mitglied der Sterntaler gewesen war. Schon am folgenden Tag würden sie Valter Lund vernehmen, und diese Aussicht schenkte Peder eine gewisse Erleichterung. Er versuchte, sich vorzustellen, über welche Information Rebecca Trolle gestolpert sein mochte, die sie das Leben gekostet hatte.
Er blätterte die Unterlagen zu ihrer Arbeit wieder und wieder durch und fragte sich, ob der Schlüssel zu dem ganzen Elend vielleicht darin lag.
Wie hat ihr Mörder erfahren, was
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