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Sterntaler: Thriller (German Edition)

Sterntaler: Thriller (German Edition)

Titel: Sterntaler: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Ohlsson
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nie vergessen lassen. Seine Kindheit war in warme Erinnerungen eingebettet: wie sie sich Peder und Jimmy auf den Schoß gesetzt und ihnen eine Geschichte nach der anderen vorgelesen hatte, von Jungen, die einfach allem trotzten. Von Drachen bis zu Krankheiten. Erst als er älter wurde, begriff Peder, dass diese Worte nur für ihn gedacht waren. Er war es und nicht Jimmy, der groß und der stärkere von ihnen beiden werden würde. Der beschützte und Verantwortung übernahm.
    An dem Abend, als Peder erfuhr, dass sein Bruder verschwunden war, brach all das zusammen. Nicht in den allerersten Stunden, aber später. Als eine Stunde nach der anderen verging, als die Dunkelheit sich über die Stadt senkte und offenbar wurde, dass Jimmy nicht nur einen seiner üblichen Ausflüge in die Umgebung unternommen hatte und im falschen Haus gelandet war. Als es zur Tatsache wurde, dass der Bruder fort war. Da öffnete sich der Erdboden unter Peders Füßen, und er stürzte in einen Abgrund, von dem er nicht gewusst hatte, dass es ihn gab.
    Die Erkenntnis, was mit ihm geschah, kam erst, als alles vorbei war und nichts mehr ungeschehen gemacht werden konnte. Ylva sah es von Anfang an und tat, was in ihrer Macht stand, um ihn zu retten– ohne Erfolg. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich nie so ohnmächtig gefühlt.
    Nach dem ersten Anruf aus der betreuten Wohngemeinschaft benachrichtigte Ylva zuerst ihre Mutter, die auf die Jungen aufpassen sollte. Dann fuhren sie gemeinsam zu dem Heim, in dem Jimmy wohnte, und durchkämmten zusammen mit dem Personal und Peders Eltern die Umgebung. Wieder und wieder riefen sie Jimmys Namen, bis Peder schon meinte, das Rufen würde in seinem Kopf festsitzen und zu einem Echo werden, das er nie mehr herausbekommen würde.
    Schließlich rief er die Polizei an und meldete seinen Bruder als vermisst.
    Peder wusste nur zu gut, wie es lief: Die Polizeiressourcen waren endlich, und sie würde Prioritäten setzen müssen. Wenn jemand anrief und seinen erwachsenen, wenn auch geistig behinderten Bruder in einem eingegrenzten Gebiet am Stadtrand als vermisst meldete, dann gab es vermutlich andere Fälle, die Vorrang hatten. So würde er selbst argumentieren, und so argumentierten auch seine Kollegen.
    »Er wird wieder auftauchen, ehe die Nacht vorbei ist«, sagte der Beamte, der Dienst hatte.
    Hinterher fragte sich Peder, wie er es schon am ersten Abend hatte wissen können. Wie kam es, dass sein Herz vor Sorge gebrüllt hatte, obwohl Jimmy schon früher manchmal verschwunden und immer wieder zurückgekommen war?
    »Zieht er denn manchmal allein los?«, hatte der Kollege gefragt.
    Nicht oft. Es war vorgekommen– aber selten. Am erstaunlichsten war das eine Mal gewesen, als es Jimmy gelungen war, den Bus in die Stadt zu nehmen und bis zum Sergels torg zu fahren, wo er dann saß und irgendein Kraut rauchte, das ihm ein Fixer verkauft hatte.
    Damals war die Angst, die Peder gehabt hatte, in eine schreckliche Wut umgeschlagen, er war hingefahren und hatte sich wahllos einen der Fixer vorgenommen. Hätte der ihn angezeigt, hätte Peder das Verfahren garantiert nicht überlebt und seinen Job verloren. Aber die Anzeige kam nicht, und nach einigen Monaten verblasste die Erinnerung an den Zwischenfall.
    Der neue Tag kam, und Jimmy war immer noch verschwunden. Das Morgenlicht brannte Peder in den Augen. In der Dunkelheit hatte er sich beschützt gefühlt, doch jetzt empfand er nichts als schiere Angst.
    »Wir müssen nach Hause gehen und ein paar Stunden schlafen«, sagte Ylva, als sie auf den Parkplatz des Heims einbogen, nachdem sie unermüdlich die Straßen nach Jimmy abgesucht hatten. Wie Laserpointer waren ihre Blicke über die Straßen gestrichen in der Hoffnung, dass Jimmy sich zeigen möge.
    Sie streichelte Peder über den Rücken. Er entzog sich.
    »Ich bleibe.«
    »Wir richten so nichts aus«, sagte sie. »Wir sind beide völlig fertig. Es ist besser, die Polizei suchen zu lassen.«
    »Ich bin Polizist, falls du das vergessen haben solltest.«
    Sie schwieg einen Moment lang. »Du weißt, dass wir ihn finden werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, ehe er wieder auftaucht.«
    Doch in Peders Kopf waren andere Bilder. Manche Menschen verschwanden und kamen nicht wieder. Rebecca Trolle. Elias Hjort. Die unbekannte Frau, die vierzig Jahre lang in dem Grab gelegen hatte.
    Panik drohte seinen Brustkorb zu sprengen. Schon der bloße Gedanke an ein Leben ohne Jimmy war unerträglich.
    Großer Gott, gib mir ein verdammtes

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