Sterntaler: Thriller (German Edition)
erfüllt war, dass es beinahe wehtat, daran zu denken. Sie konnte sich an ihre erste Verliebtheit erinnern, an das erste Buch, das sie geschrieben hatte, an das Herz, das ihr zu bersten drohte, als die Presse ihre Kinderbücher erstmals in den Himmel lobte und ihr glänzende Erfolge für die Zukunft prophezeite. Und dann war alles in Stücke geschlagen und ihr weggenommen worden. Nichts hatte sie mehr, gar nichts.
Die neue Pflegerin kroch hinter ihrem Rücken herum und hielt sich mit den Blumen auf. Eine Pflegehelferin kam dazu und fing an, die Bettwäsche zu wechseln. Unangenehm, fand Thea. Hätte sie nicht warten können, bis sie gefrühstückt hatte?
»Schöne Blumen«, sagte die Pflegerin. Nicht zu Thea, sondern zu der Helferin.
»Sie kriegt jede Woche neue.«
»Von wem denn?«
»Das wissen wir nicht. Sie werden per Boten gebracht.«
Thea betrachtete den Rücken der Pflegerin und wusste, dass sie jetzt die Karte las.
»Da steht ›Danke‹«, hörte sie sie sagen. »Danke wofür?«
»Keine Ahnung«, antwortete die Helferin. »Das ist alles so seltsam, dass…«
Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, dass Thea sie beobachtete. Wieso begriff eigentlich nie jemand, dass sie ausgezeichnet hören konnte? Sie betrachteten sie als Idiotin, nur weil sie sich entschieden hatte, nicht mehr zu sprechen.
Die Helferin senkte die Stimme. »Wir wissen nicht, wie viel sie von dem, was um sie herum geschieht, mitbekommt. Ich glaube ja manchmal, dass sie zuhört. Ich meine, schließlich ist sie voll beweglich. Und wieso sollte sie nicht verstehen, was wir sagen?«
Thea war drauf und dran, in Lachen auszubrechen. Die Dickmilch schmeckte armselig, und das Brot war trocken. Sie aß es trotzdem. Es wurde still im Raum, und nach einer Weile ließen die beiden sie allein.
Als die Tür hinter der Helferin zuschlug, verspürte sie nichts als Erleichterung.
Sie stand vom Tisch auf und schaltete den Fernseher ein. Mit festem Griff nahm sie die Fernbedienung und kehrte an ihren Platz zurück. Der Schlaganfall, den sie vor ein paar Jahren erlitten hatte, war der Grund, dass sie nicht allein leben konnte, doch ansonsten funktionierte ihr Alltag noch relativ gut. Sie würde wahnsinnig werden, wenn die Pflegerinnen sich noch mehr in ihr Leben einmischen würden, als sie es bereits taten.
Die Frühnachrichten hatten eben angefangen.
»Die Polizei hat gestern bereits bestätigt, dass es sich bei der Toten, die in Midsommarkransen gefunden wurde, um Rebecca Trolle handelt, eine junge Studentin, die vor fast zwei Jahren verschwunden ist. Die Polizei hält sich bedeckt, was die näheren Umstände angeht. Es heißt, man habe bisher auch noch keinen Tatverdächtigen.«
Thea starrte mit feuchten Augen auf den Bildschirm. Seit sie gehört hatte, dass es Rebecca Trolle war, die man gefunden hatte, verfolgte sie jede Nachrichtensendung. Ihr Herz schlug ein klein wenig schneller. Es ging zu Ende, dessen war sie sich ganz sicher. Bald würde alles den Abschluss bekommen, auf den sie seit fast dreißig Jahren gewartet hatte.
8
ALEX RECHT TRAT AN DEN Krater heran und sah auf die feuchte Erde hinab. Die Lichtung schloss sich um die Männer, die am Rand des umgegrabenen Gebietes standen. Auch Peder trat nun näher heran und beugte sich vor, um besser zu sehen.
»Wie habt ihr ihn gefunden?«, fragte Alex.
»Wir haben das Areal um Rebecca Trolles Grab herum durchsucht und dabei einen Herrenschuh gefunden, der schon länger in der Erde zu liegen schien. Also haben wir das Gebiet erweitert und sind noch tiefer in die Erde gegangen. Und da lag er.« Der Mann, der Alex’ Frage beantwortet hatte, zeigte auf die Stelle, wo die neue Leiche gefunden worden war.
»Wie lange liegt er da schon?«
»Der Rechtsmediziner will sich vor Ort nicht festlegen. Aber wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte.«
Alex atmete die frische Luft ein und genoss, der unpassenden Situation zum Trotz, die Sonnenstrahlen, die auf die Bäume und die vom Tau feuchte Erde fielen. Der Frühling war seine liebste Jahreszeit und der Morgen die Zeit, zu der er sich am besten fühlte. Es war gerade mal sieben Uhr, und er war froh, dass Peder sich ihm schon so früh hatte anschließen können.
»Woher wisst ihr, dass es ein Mann ist?«
»Die Größe«, erwiderte eine Kollegin von der Technik. »Der Rechtsmediziner schätzt, dass der Tote über eins fünfundachtzig groß war. Nur wenige Frauen sind so groß.«
»Das dürfte die Identifizierung vereinfachen«, sagte Peder. »Wenn wir
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