Stiller Tod: Thriller (German Edition)
wieder die Treppe hinuntergeht, weiß er nur eines: Die kleine Oase des Trostes, die Dawn und ihre Tochter für ihn waren, ist verschwunden. Es war bloß eine Illusion. Genau wie seine Überzeugung, der Heulkrampf gestern in der Dusche hätte ihm wieder einen klaren Kopf verschafft.
Er verharrt in der Nähe der Küche, mutterseelenallein und nüchtern, als ihn die Ereignisse der letzten Tage packen und überwältigen. Exley fängt an zu zittern, und obwohl er hinaus auf die Veranda in die sengende Sonne taumelt, hört das Zittern nicht auf. Er rutscht mit dem Rücken an der Wand in die Knie, beißt die klappernden Zähne aufeinander und spürt, wie der Wahnsinn von ihm Besitz ergreift.
Er hat keine Haut. Keine Muskeln und Sehnen und Knochen. Nichts, um ihn einzudämmen, zu verhindern, dass das, was er ist, einfach heraussickert, zerfällt und sich in einer Zukunft aus unermesslichem Schmerz verliert.
Und Exley begreift, dass er den Ort erreicht hat, an dem die Schulden bezahlt werden.
KAPITEL 48
Es ist gelaufen wie am Schnürchen. Genau wie Vernon sich das gedacht hat.
Er steht auf dem Bürgersteig vor dem Lips, in der vertrauten, sonnengebleichten Hässlichkeit, steckt sich eine Zigarette an, hört das Rattenkrallenkratzen, als Costa von innen hinter ihm abschließt. Der Grieche hat sich bereit erklärt, Dawn zurückzunehmen. Ab sofort.
Vernon musste ihm nicht mal drohen. Die fette weiße Tussi, die als Dawns Nachfolgerin angeheuert wurde, hat sich den Goldenen Schuss gesetzt, deshalb hat der Grieche dringend Bedarf.
Vernon inhaliert Nikotin, merkt, dass er vor Dawns Mietshaus steht, zu ihrer Wohnung hochstarrt. Neben ihm auf dem Bürgersteig beschimpft eine obdachlose Schwarze mit weißen Flecken im Gesicht einen einbeinigen braunen Typen mit Krücke, dessen verbliebener Fuß nackt und rissig wie Elefantenhaut ist.
»Geh doch zu ihr, geh zu deiner Nutte!«, schreit sie.
Der Krüppel sagt auf Afrikaans: »Aber ich liebe dich. Für sie bin ich doch bloß ein Sexspielzeug.«
Vernon lacht über den Irrsinn der Welt, fragt sich, wie wohl der nächste Teil seines Plans läuft, wie er Dawn von Nick Exley fernhalten wird. Aber er macht sich keine Sorgen, weiß, dass er in seinem Element ist. Dass sich alles regeln wird, jetzt, wo er die besten Ideen hat.
Und der Teufel soll ihn holen, wenn er nicht Sonnenlicht aufblitzen sieht, als Dawns Balkontür aufschwingt wie eine Willkommen-Fußmatte, die ihn heraufruft.
Die enge Wohnung ist ihr noch nie so schäbig vorgekommen. Oder so heiß. Dawn stößt das Küchenfenster auf, um ein wenig zu lüften,doch es weht bloß Kanalgeruch herein, und sie knallt das Fenster wieder zu. Notgedrungen muss sie die Balkontür aufmachen, ranzige Junkfoodschwaden und Autoabgase hereinlassen.
Brittany sitzt auf dem Bett, isst eine Portion Eiscreme, spricht mit Mr. Brown und erzählt immer nur von Onkel Nick hier und Onkel Nick da. Lange und ausführliche Schilderungen, wie sie mit Onkel Nick geschwommen ist und er ihr Pizza gekauft hat und dass er einen ganzen Stapel Disneyfilme hat.
»He, Britt«, sagt Dawn, schaltet den Fernseher ein und schlägt einmal dagegen, um das Bild zu stabilisieren, das wackelt und läuft und dann bei irgendeiner südafrikanischen Kindersendung mit plumpen sprechenden Puppen hängenbleibt. »Komm gucken!«
Aber Brittany hat keine Lust. Sie hat jetzt ein anderes Leben gekostet, eine Welt, die alle ihre Träume übersteigt.
Dawn starrt die dämlichen Puppen an, deren Stimmen ihr auf die Nerven gehen. Sie schaltet die Glotze wieder aus und sitzt tatenlos auf dem Sofa, steckt sich eine Zigarette an und wünscht, es wäre ein Joint, versucht, das Geplapper ihrer Tochter auszublenden, hört aber trotzdem, wie Brittany dem Bären erzählt, dass ihre Mommy Onkel Nick heiraten wird und sie dann alle zusammen da draußen am Meer leben, und Mr. Brown auch.
Mein Gott. Es reicht.
Sie ist kurz davor auszuflippen und ihre Tochter anzubrüllen, sie soll den Mund halten, als das nur allzu vertraute Vernon-Klopfen an der Tür ertönt. Sie legt den Finger auf die Lippen, und Brittany, Gott segne sie, hört auf zu reden. Sie sitzen beide wie Statuen da und starren einander an. Es klopft erneut.
Vernon ruft: »He, Dawnie, ich weiß, dass du da bist. Mach auf. Ich bin nicht sauer, versprochen. Ich hab gute Nachrichten für dich.«
Es ist sinnlos, die Begegnung mit ihm aufschieben zu wollen, also öffnet Dawn die Tür, und er kommt hereingepoltert, sieht aus, als hätte
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