Stiller Tod: Thriller (German Edition)
sind in Erfüllung gegangen. Ihr Kind ist nicht mehr da.
Unvermittelt überfällt sie eine Erinnerung, und ihr Unterleib und die Oberschenkelmuskeln verkrampfen sich im Widerhall der alleszerfetzenden Schmerzen, als ihr dieses pinkfarbene blutige Ding aus dem Körper gerissen wurde, die verdrehte Nabelschnur, die tief in sie hineinreichte, etwas in ihr zur Explosion brachte, als wäre der Stift einer Handgranate gezogen worden. Es war, als hätte Sunnys Ankunft die Geburt eines anderen Teils von Caroline ausgelöst, der geschlafen hatte, ein manischer Rip Van Winkle, der wutentbrannt und völlig außer sich erwachte.
Sie kann sich noch genau an den Moment erinnern, als sie aus dem rasenden Schmerz auftauchte und die Welt so sah, wie sie sie noch nie gesehen hatte, vor ihr der rotgesichtige, brüllende Säugling, wie ein hässlicher alter Mann, den Mund weit aufgerissen, kreischend. Unüberhörbar verkündend, dass er da war.
Für immer.
Sie blickte in das Gesicht, Augen wie Schlitze, der Mund nass und klaffend, Forderungen schreiend, die kleinen Fäuste geballt, und sah keine Schönheit, nur Wut. Und spürte deren Gegenstück in sich selbst, wie sie ihr heiß, zähflüssig ins Blut strömte, spürte, wie ihr Körper sich davon weitete, als würden ihre Zellen die Matrix ausdehnen, um dieser anderen Caroline Raum zu gewähren, die Muskeln sehnig und stark, die Haut pergamentstraff um den Schädel gespannt. Es gab kein postnatales Glücksgefühl. Keine Freude.
Ihre Nippel waren trocken und eingezogen, lehnten den hungrigen Säugling ab, und als das Ding losbrüllte, schob sie es weg, in die Hände der Krankenschwestern, die sie verächtlich anschauten. Sie hatte einen metallenen Geschmack im Mund, die Wahrnehmung durch ihre Augen und Ohren war plötzlich geschärft: Sie war felsenfest überzeugt, dass sie sehen konnte, wie sich die Atome um sie herum verschoben und neu sammelten, wenn die Parade von Ärzten und Pflegepersonal durch ihr Zimmer zog. Sie schienen einen Schleier aus Verwirrung und Selbstmitleid um ihren Mann herum zu bilden, der es mit Lächeln und Händetätscheln versuchte, obgleich sie das Gefühl seiner Fingerspitzen auf der Haut doch nur als widerwärtig empfand.
Dann kamen die Psychiater, die pillenwütigen Schamanen mit ihrer Diagnose: postpartale Depression. Männer mit kalten, berechnenden kleinen Mündern und Augen wie Scanner, das Kratzen ihrer Stifte auf den Rezeptblöcken wie Messer, die ihre Haut durchstießen. Sie verschrieben ihr eine ganze Reihe von Medikamenten, während sie dasaß und ins Leere starrte, die Brüste trocken, ihr verstoßenes Kind draußen im Wartezimmer bei einem Fremden, der einen Ehering trug.
Das war der Beginn ihrer Reise in eine betäubte Unterwelt, wo Farbe zu Einheitlichkeit verblasste und der Soundtrack sanfte Musikberieselung war, wo ihre Gedanken stumpf und unscharf wurden, und sie wusste, dass sie nie wieder schreiben würde.
Niemals wieder.
Sie erinnert sich an die Erschöpfung, den Groll, den sie empfand, als ihre Karriere – bei Gott, ihr Leben – auf Eis gelegt wurde, weil dieses Menschlein sie versklavte, während ihr jungenhafter Schlaukopf von Gatte an seinem cleveren Spielzeug herumbastelte und es für zig Millionen verkaufte. Ihre Schriftstellerei verschwand unter einer Sturzflut von Windeln und Nahrungsmittelallergien, derweil sie Nick Exley rund um den Globus folgte und er seine Erfindung in Sydney verhökerte, in Los Angeles, São Paulo, Paris, Kopenhagen und jetzt hier an dieser gottverlassenen verdammten Spitze von Afrika.
Ihre Agentin, eine Kampflesbe, die noch immer in den klirrenden Tönen ihrer Geburtsstadt Auckland sprach, wartete geduldig auf Carolines nächsten Roman, und als der nicht kam, schickte sie ihr eine E-Mail, die lediglich Cyril Connollys berühmte Warnung enthielt: Gute Kunst hat keinen dunkleren Feind als den Kinderwagen in der Diele.
Caroline bekommt Atemnot. Sie öffnet die Augen und springt auf, läuft auf dem Teppich hin und her, schlingt die Arme um sich, wie sooft, seit sie Sunny tot daliegen sah und dieser brutale Wachmann über sie gebeugt war, seinen Atem in sie hineinpressend, auf eine Art, die obszön war und zugleich – sein lahmes Bein von Zuckungen geschüttelt wie ein Frosch bei einem Laborexperiment – entsetzlich komisch.
Ehe sie sich bremsen kann, hat Caroline nach ihrem Handy gegriffen und ruft per Kurzwahl die einzige Person an, die sie jetzt beruhigen kann. Der Anruf geht direkt auf die
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