Stiller Tod: Thriller (German Edition)
den aufgetrieben? – die Augen schließt, die Arme gen Himmel reckt und in einem immer unverständlicheren Gebrabbel »Jay-sus« anfleht. Vielleicht redet er in Zungen? Dann schnappt sie den Namen Jane auf, wieder und wieder, er hüpft an die Oberfläche dieses Ozeans aus verwischten Vokalen, und das macht ihre Fassung um ein Haar zunichte.
Der Name ihres Kindes war Jane Exley. Aber Nick hat sie vomersten Tag an, als das Baby aus dem Krankenhaus nach Hause kam, »Sunshine« genannt und dann Sunny. Wenn sie im Kinderbettchen lag, hat er in Babysprache mit ihr geredet und mit den Fingern gewackelt. Sie zum Lachen und Kichern gebracht.
Caroline spürt, wie sich ihr die Kehle zuschnürt, und richtet den Blick wieder starr auf die Felsen, sieht die Vögel schwankend landen und losfliegen und sich gegenseitig anrempeln, versucht, den langfingrigen Emotionsranken zu entgehen, die mit ihren Saugnäpfen nach ihr greifen.
Carolines Geruchssinn, der immer unglaublich fein ist, wenn sie ihre Tabletten abgesetzt hat, nimmt etwas Fauliges wahr, das von dem Zeltdach links von ihr herüberschwebt. Bloß die Blumen in diesem grässlichen Blütenschmuck, sagt sie sich, stellt sich aber doch unwillkürlich vor, es sei Sunnys verwesender Körper.
Aber natürlich haben die irgendwas mit ihr angestellt, so eine barbarische Einbalsamierung. Und auf einmal überfallen sie Bilder, wie ihre Tochter nackt auf einem Stahltisch liegt, ausgeweidet wird, wie man ihre Innereien heraushebt und in einen Eimer wirft, wie ihr Blut von einem Wilden in Gummistiefeln weggespritzt wird.
Caroline hat offenbar auf das Grauen dieser Bilder reagiert, mit einem Stöhnen, das ihren Lippen entwichen ist, denn Nicholas versucht, ihre Hand zu nehmen, seine Finger kalt und feucht auf ihrer Haut. Sie zieht die Hand weg, verschränkt die Arme und entfernt sich so ungeheuer weit, dass sie kaum mitbekommt, wie ihr Mann neben den dunklen Scharlatan tritt und haspelnd und stammelnd ein paar Worte von sich gibt, die er für eine Trauerrede hält.
»Sunny, ich liebe dich aus tiefstem Herzen, und ich werde dich immer lieben. Der Gedanke, dass du nicht mehr da bist, ist unfassbar. Ich möchte einfach nur immer wieder sagen: Komm zurück! Komm zurück zu mir!«
Nicholas vergießt die einzigen Tränen, und dann ist es vorbei. Der Bestatter und seine beiden Lakaien schrauben die obere Deckelhälfte zu, rollen Sunny davon und klappen das Sonnendach zu einem Paketaus Stangen und Stoffbahnen zusammen. Caroline sieht dem kleinen weißen Sarg nach, der um die Hausecke herum verschwindet, auf dem Weg zur Einäscherung. Sunny wird sich in irgendeinem elenden Industrieviertel dieser Stadt in Rauch verwandeln und hinauf in den Himmel schweben.
Nick schüttelt dem Prediger die Hand (aus den Augenwinkeln bekommt sie mit, wie Geldscheine den Besitzer wechseln), und der dicke Mann stapft hinter den Bestattern her. Ein Schatten fällt auf Caroline, sie riecht eine Alkoholfahne, als Shane Porter ihr eine australische Plattitüde ins Ohr raunt.
»Shane?«, sagt sie.
»Ja, Liebes?«
»Leck mich am Arsch.«
Er starrt sie an, der Mund klappt auf und zeigt weiße Zahnkronen, und sie dreht sich um, geht zum Haus.
Als sie näherkommt, hört sie den Klang einer Akustikgitarre, und eine gebrochene amerikanische Stimme plärrt ihr entgegen, jammert über seine »Daughter in the Water«. Der alte Loudon-Wainwright-Song, den Exley oft Sunny vorsang – leider total falsch –, wenn er mit ihr im Meer herumtollte, während Caroline ihnen vom kühlen Asyl des Hauses aus zusah.
Sie überquert die Veranda und sieht, dass ihr Mann seinen großen Moment hat. Dass er der verlegenen Gruppe von angeblich trauernden Gästen vorführt, woran er seit Sunnys Tod wie verrückt gearbeitet hat, vergraben in seinem Studio.
Ein riesiger Plasmafernseher hängt über dem Tisch mit Getränken und Chips und Nüssen, und Sunny tanzt auf dem Bildschirm, strahlend vor einem fliehenden Hintergrund, der von Weiß in Blau übergeht. Eine lebendigere Sunny als das Etwas, das Caroline kurz im Sarg gesehen hat, wie sie zugeben muss.
Dann geht sie näher heran, und ihr wird klar, was für eine Groteske ihr Mann da erschaffen hat. Es ist realistisch, klar. Ihr Kind-Mann beherrscht sein Handwerk. Aber es ist nicht real. Im Gesichtdieser computergenerierten Nachbildung sieht sie etwas Ungesundes und Abstoßendes, das sie auf einer fundamentalen Ebene verstört. In den Augen dieser nachgemachten Sunny liegt etwas Wissendes,
Weitere Kostenlose Bücher