Stimmen aus dem Nichts
immerhin ist sie die Spezialistin, nicht wir.«
»Seit wann ist das denn unser Standpunkt?« Justus sah Peter herausfordernd an.
»Justus, das bringt doch nichts.« Bob versuchte zu beschwichtigen. »Du kannst mir wirklich nicht vorwerfen, dass ich mich jemals vor einer Sache gedrückt habe. Doch in diesem Fall, muss ich dir ganz ehrlich sagen, können wir uns gehörig die Finger verbrennen. Und nicht nur unsere eigenen. Mit psychisch kranken Menschen, die sich dazu noch in psychotherapeutischer Behandlung befinden, haben wir keinerlei Erfahrungen. Und ehrlich gesagt, kann ich darauf auch verzichten. Die Sache ist mir zu heiß.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
Bob wollte Justus gerade antworten, doch Peter kam ihm zuvor. »Kennst du den Film ›Einer flog über das Kuckucksnest‹? Da geht es um kranke Menschen, die in der geschlossenen Psychiatrie eingesperrt sind. Die reden von morgens bis abends nur irgendwelche Verrücktheiten daher und können Realität und Einbildung nicht voneinander unterscheiden.«
»Moment, Peter. Ich glaube, jetzt bringst du etwas gehörig durcheinander.« Der Erste Detektiv war nicht umsonst als wandelndes Lexikon bekannt und betrachtete es als seine Verpflichtung, sein Wissen, das zugegebenermaßen auf dem Sektor ›Psychiatrie‹ noch nicht allzu erfahren war, kundzutun. »Erstens«, begann er, »befindet sich Mrs Holligan nicht in einer geschlossenen Abteilung, sondern besucht ganz regelmäßig und freiwillig eine Therapeutin in ihrer Praxis. Und zweitens ist dadurch noch lange nicht bewiesen, dass Mrs Holligan tatsächlich krank ist. Zumal der Begriff ›krank‹ sehr leicht missverstanden werden kann.«
»Was soll das denn wieder bedeuten?«, fragte Bob.
»Dass ich eure Reaktion sehr gut verstehen kann. Denn als ich heute Vormittag in der Arztpraxis von Dr. Miller erfahren habe, dass Mrs Holligan in psychotherapeutischer Behandlung ist, schnürte es mir regelrecht den Hals zu. Und natürlich war ich ihren Schilderungen gegenüber misstrauisch. Zuerst war mir das gar nicht so bewusst, später wurde mir klar, warum.«
»Das würde mich auch interessieren«, warf Bob ein.
»Eure Reaktion ist das beste Beispiel. Ihr verhaltet euch Mrs Holligan gegenüber ablehnend, obwohl ihr sie noch gar nicht kennen gelernt habt. Und wisst ihr auch, warum?«
Peter und Bob zuckten wortlos mit den Schultern.
»Weil der Ausdruck ›Psycho‹ für Laien meist mit Vorurteilen belastet ist.«
»Zu denen du dich selbstverständlich nicht zählst«, warf Bob locker ein.
Peter hatte inzwischen seine Nektarine aufgegessen und beförderte den Kern in gezieltem Wurf in die Abfalltonne. »Was macht eigentlich eine Psychotherapeutin? Kann mir das mal einer sagen?«
»Mit einfachen Worten ausgedrückt«, begann Justus, »beschäftigt sie sich mit den Problemen von Menschen, die mit ihrer Realität und ihrer Umgebung nicht zurechtkommen. Zusammen mit dem Patienten versucht die Therapeutin eine Lösung des Problems zu finden. Mrs Holligans Gang zu Dr. Franklin ist demnach völlig logisch und nachvollziehbar.«
»Nach deinen Schilderungen scheint mir die alte Dame dort besser aufgehoben zu sein als bei uns«, entgegnete Bob.
»Wie darf ich das verstehen?« Justus war fest entschlossen, die Diskussion bis zu einem für ihn befriedigenden Ende auszufechten.
»Nun ja«, fuhr Bob fort. »Oberflächlich betrachtet klingt die Sache verdammt nach einem interessanten Fall für die drei ???. Die Tatsache jedoch, dass Mrs Holligan sich selbstverschuldet in den Finger geschnitten hat und ihre verstorbene Schwester am Telefon davon Wind bekommen haben soll, indem sie diese Verletzung auch noch kommentiert, ist für mich der klare Beweis dafür: Diese Frau tickt nicht richtig.«
»Eben davon ist Mrs Holligan ja auch überzeugt, sonst würde sie wohl nicht die Hilfe eines Psychiaters zu Rate ziehen«, sagte Peter.
»Eines Psychotherapeuten«, verbesserte Justus.
»Und wo liegt da bitte schön der Unterschied?«
»Der Unterschied besteht in der Ausbildung und den Kompetenzen«, antwortete Justus.
»Psychiater haben Medizin studiert und sind somit Ärzte. Sie arbeiten meist an härteren Fällen im klinischen Bereich und dürfen auch Medikamente verschreiben. Psychotherapeuten studieren Psychologie und absolvieren danach eine Therapieausbildung. Sie arbeiten meist im sozialen Bereich und schließen sich oft Gemeinschaftspraxen an.«
Bob machte aus seiner Skepsis keinen Hehl. »Wenn wir an die Sache
Weitere Kostenlose Bücher