Stimmen der Angst
vertieft war, kehrte sich nicht augenblicklich um, wenn das Spiel beendet war. Wie ein Taucher, der in wohl berechneten Etappen aus der Tiefe aufstieg, um die Druckfallkrankheit zu vermeiden, kehrte Ahriman in Dekompressionsstufen zu seinem erwachsenen Ich zurück. Im Augenblick war er weder ganz Mann noch ganz Kind, sondern befand sich vielmehr im Zustand einer emotionalen Metamorphose.
An der Eckbar seines Arbeitszimmers goss er eine Flasche Cola – die klassische Rezeptur – in ein Tom-Collins-Glas aus geschliffenem Bleikristall, fügte einen großzügigen Klacks Kirschsirup und Eis hinzu und rührte das Gemisch mit einem langstieligen Silberlöffel um. Er nippte daran und lächelte. Eindeutig besser als Tsingtao.
Erschöpft, aber dennoch ruhelos streifte er eine Weile durchs Haus, nachdem er den Haustechnik-Computer so programmiert hatte, dass er ihn weder mit flammenden Lichtern noch mit sanft illuminierten Szenenbildern behelligte. Er wollte es in den Räumen mit Ausblick dunkel haben, und in den Bereichen, von denen aus man den Blick auf das nächtliche Panorama des Orange County nicht genießen konnte, sollte nur eine einzige, auf einen ganz schwachen Schein heruntergedimmte Lampe brennen.
In der weiten Ebene unterhalb der Anhöhe funkelten Millionen von Lichtern, obwohl zu dieser nächtlichen Stunde die meisten Bewohner der Gegend wohl noch in tiefem Schlaf lagen. Durch die Panoramafenster fiel gerade so viel Hintergrundlicht, dass sich der Arzt mit katzenhafter Sicherheit durchs Haus bewegen und den goldenen Schein genießen konnte.
Als er so, umspielt von diesem goldenen Schein, im Dunkeln vor der riesigen gläsernen Fläche stand und auf das urbane Lichtermeer hinunterblickte, das ihm wie die größte Spiellandschaft der Welt zu Füßen lag, wusste er, wie Gott im Angesicht der Schöpfung zumute gewesen wäre, wenn es einen Gott gegeben hätte. Der Arzt war ein Spieler, keine gläubige Seele.
Hin und wieder an seiner Cherry-Cola nippend, streifte er von einem Raum zum anderen, durch Korridore und über Galerien. Das riesige Haus war in mehr als einer Hinsicht ein Irrgarten. Zu guter Letzt kehrte er wieder ins Wohnzimmer zurück.
Hier hatte er vor über achtzehn Monaten Susan in seinen Besitz gebracht. An dem Tag, als alle Verkaufsformalitäten erledigt waren, hatte er sich hier mit ihr verabredet, um die Schlüssel und die umfangreiche Bedienungsanleitung für die Computersysteme in Empfang zu nehmen. Er hatte sie mit einer eisgekühlten Flasche Dom Perignon und zwei Champagnerkelchen überrascht. Vom Tag ihrer ersten Begegnung an hatte der Arzt alles vermieden, was den leisesten Verdacht hätte aufkommen lassen können, er sei an etwas anderem interessiert als an ihren fachkundigen Diensten als Immobilienmaklerin; selbst mit dem Champagner in der Hand hatte er ein solches erotisches Desinteresse an den Tag gelegt, dass sie nicht das Gefühl haben konnte, er wolle ihr, einer verheirateten Frau, den Hof machen. Vielmehr hatte er von dem Augenblick an, als er sie kennen gelernt und beschlossen hatte, sie in seinen Besitz zu bringen, wohl dosierte Hinweise wie Brosamen für eine Taube verstreut, um in ihr die Annahme zu nähren, er sei schwul. Weil er so glücklich über sein fantastisches neues Haus war und weil die üppige Maklercourtage, die sie kassiert hatte, sie auch nicht gerade traurig stimmte, fand sie offensichtlich nichts Schlimmes dabei, mit einem Glas Champagner auf den erfolgreichen Geschäftsabschluss anzustoßen – wobei ihres natürlich präpariert war.
Jetzt, unter dem Eindruck ihres Todes, wurde Ahriman von widerstreitenden Gefühlen gequält. Ihr Verlust schmerzte ihn dermaßen, dass er fast in einen Zustand nostalgischer Schwärmerei geriet, aber gleichzeitig fühlte er sich auch von ihr betrogen und hintergangen. Bei all dem Spaß, den sie miteinander gehabt hatten, hätte sie ihn doch mit allen Mitteln zu vernichten gesucht, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte.
Schließlich überwand er seine innere Zerrissenheit, indem er sich klar machte, dass sie eben nur ein Mädchen wie alle anderen war und dass sie die Zeit und die Aufmerksamkeit, die er ihr so reichlich geschenkt hatte, überhaupt nicht wert war. Wenn er ihr jetzt lange nachtrauerte, käme das dem Eingeständnis gleich, dass sie mehr Macht über ihn gehabt hatte als je ein Mensch zuvor.
Er war der Sammler, sie war nur das Objekt. Die Spielzeuge gehörten ihm, nicht umgekehrt.
»Ich bin froh, dass du tot
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