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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Spielregeln.«
    Skeet antwortete nicht sofort. Langsam verschwanden die Runzeln von seiner Stirn. Die Haut wurde glatt und durchsichtig wie geschmolzene Butter, bis man den Eindruck hatte, das Weiß der Knochen durchschimmern zu sehen. Den Blick hatte er unverändert starr auf die Decke gerichtet.
    Wieder zuckten die Augen hin und her, aber sobald die Bewegung aufhörte, begann er zu sprechen. Seine Stimme ließ keine Anspannung mehr erkennen und war auch nicht mehr so tonlos wie zuvor. »Klare Kaskaden.« Es waren nicht mehr als ein Flüstern.
    Auch wenn die Worte sicherlich einen Sinn ergaben, klangen sie, als hätte Skeet sie so zufällig ausgeworfen wie eine automatische Bingoschleuder zwei mit Buchstaben bedruckte Pingpongbälle.
    »Klare Kaskaden«, wiederholte Dusty. Da von Skeet keine Antwort kam, hakte er nach: »Gib mir noch einen Tipp, Kleiner.«
    »Zersprühen in den Wellen«, flüsterte Skeet.
    Ein Geräusch im Raum veranlasste Dusty, den Kopf zu drehen.
    Valet war aus dem Sessel gesprungen. Er lief zur Tür und in den Korridor hinaus, wo er mit aufgestellten Ohren und eingezogenem Schwanz stehen blieb und mit einer Miene zu ihnen zurückschaute, als wäre ihm ein Gespenst auf den Fersen. Zersprühen in den Wellen.
    Noch mehr Bingokugeln.
    Ein kleiner weißer Falter, dessen hauchdünne Flügel mit einem zarten Lochmuster gesäumt waren, hatte sich auf Skeets nach oben gewandter rechter Handfläche niedergelassen und krabbelte darauf herum. Nichts, nicht einmal das kleinste Muskelzucken deutete darauf hin, dass er das Insekt spürte.
    Sein Mund stand offen, und das Kinn hing schlaff herunter. Er atmete so flach, dass sich die Brust weder hob noch senkte.
    Jetzt fingen die schnellen Augenbewegungen wieder an; aber als der lautlose Anfall vorüber war, hätte man Skeet für einen Toten halten können.
    »Klare Kaskaden«, sagte Dusty. »Zersprühen in den Wellen.
    Hat das eine Bedeutung, Kleiner?«
    »Hat es das? Du hast gesagt, ich soll dir die Regeln erklären.«
    »Das sind die Regeln?«, fragte Dusty.
    Skeets Augen zuckten ein paar Sekunden hin und her. Dann:
    »Du kennst die Regeln.«
    »Tun wir einmal so, als würde ich sie nicht kennen.«
    »Das sind zwei davon.«
    »Zwei der Regeln?«
    »Ja.«
    »Nicht ganz so eindeutig wie Pokerregeln.«
    Skeet sagte nichts.
    Auch wenn das alles wie sinnloses Gebrabbel klang, wie die wirren Absonderungen eines drogenvernebelten Hirns, hatte Dusty doch das unheimliche Gefühl, dass es eine reale – wenn auch verborgene – Bedeutung hatte und auf eine beängstigende Offenbarung zusteuerte.
    »Sag mir, wie viele Regeln es insgesamt gibt.« Bei diesen Worten beobachtete er seinen Bruder genau.
    »Du weißt es«, sagte Skeet.
    »Tun wir einmal so, als wüsste ich es nicht.«
    »Drei.«
    »Wie lautet die dritte Regel?«
    »Wie lautet die dritte Regel? Kiefernnadeln blau.« Klare Kaskaden. Zersprühen in den Wellen. Kiefernnadeln  blau.
    Valet, der nur selten bellte und noch seltener knurrte, sah jetzt von der offenen Tür zu ihnen herüber und gab ein leises, drohendes Grollen von sich. Die Nackenhaare waren so plakativ gesträubt, als entstammte Valet der Feder eines Comiczeichners: ein Comic-Hund, dem gerade ein Comic-Gespenst begegnet war. Dusty konnte nicht genau sagen, was den Hund aufgewühlt hatte, aber er hatte den Eindruck, dass der arme Skeet die Ursache war.
    »Erklär mir diese Regeln«, sagte er, nachdem er eine Weile vor sich hin gegrübelt hatte. »Sag mir, was sie bedeuten.«
    »Ich bin die Wellen.«
    »Schön«, sagte Dusty, obwohl das ungefähr so viel Sinn für ihn ergab, als hätte Skeet sich ein Beispiel an den Beatles in ihren besten psychedelischen Zeiten genommen und von sich behauptet: I am the walrus.
    »Die klaren Kaskaden, das bist du«, fuhr Skeet fort.
    »Natürlich«, sagte Dusty, um ihn zum Weiterreden zu ermutigen und weil ihm nichts Besseres einfiel.
    »Und die Nadeln sind Missionen.«
    »Missionen.«
    »Ja.«
    »Und das alles ergibt einen Sinn für dich?«
    »Tut es das?«
    »Offensichtlich.«
    »Ja.«
    »Für mich ergibt es leider keinen Sinn.«
    Skeet schwieg.
    »Wer ist Dr. Yen Lo?«, fragte Dusty.
    »Wer ist Dr. Yen Lo?« Kurze Pause. »Du.«
    »Ich dachte, ich wäre die klaren Kaskaden?«
    »Sie sind ein und dasselbe.«
    »Aber ich bin nicht Yen Lo.«
    Skeet zog wieder die Stirn in Falten. Seine erschlafften Hände krümmten sich abermals zu lockeren Fäusten. Der zarte weiße Falter schlüpfte zwischen den bleichen Fingern

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