Stirb für mich: Thriller
ersten Mal in zwanzig Jahren war sie einer Frau begegnet, die ihr Charlie wegnehmen könnte. Keine der anderen hatte sie gefürchtet, nicht mal den Typ Supermodel mit endlosen Beinen.
Charlie war der einzige Mensch in ihrem Leben, der ihr je das Gefühl von Sicherheit gegeben hatte. Und nun würde er seine ungeteilte Aufmerksamkeit einer anderen widmen. Ein hilfloses Zittern durchfuhr ihren Körper wie die kalten Wellen einer Virenattacke, als sie sich vor dem Abgrund sah, alles zu verlieren. Ihre Tochter hasste sie, und der einzige Mann, den sie je geliebt hatte – und ja, immer noch liebte –, hatte sich in eine andere Frau verliebt, die ihr mehr als ebenbürtig war.
Und obendrein war Isabel alles, was sie nicht war. Oder lag es nur daran, dass sie zeigen konnte, was Mercy selbst nie hatte zeigen können?
Mercy sah sich plötzlich als vereinsamten Menschen enden und hatte das verzweifelte Bedürfnis, sich mit ihrer Tochter auszusprechen. Sie rief nicht vorher bei Esme an, um zu fragen, ob es in Ordnung wäre, dabei war es schon kurz vor elf, als sie vor dem ehemaligen Hospital für Schwindsüchtige in Mount Vernon stand. Sie klingelte und stellte sich vor die Videokamera.
»Mein Gott, Mercy, bist du das?«, fragte Esme durch die Gegensprechanlage.
»Ich muss Amy sehen.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Machst du bitte auf, Esme?«
Esme öffnete, und Mercy nahm die Treppe in den ersten Stock. Esme erwartete sie rauchend vor ihrer Wohnung.
»Was hat das alles zu bedeuten, Mercy?«
»Ich will nur meine Tochter sehen, mehr nicht.«
»Es ist spät.«
»Ich habe bis jetzt gearbeitet, und sie schläft bestimmt noch nicht.«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, sagte Esme. »Sie ist immer noch stinkwütend auf dich.«
»Das ist mir scheißegal«, erwiderte Mercy. »Ich will sie sehen.«
»Hör mal, Mercy, ich kann sehen, dass du aufgewühlt bist«, sagte Esme. »Glaubst du wirklich, dies ist der beste Zeitpunkt?«
»Ich habe bei der Arbeit gerade etwas Schreckliches gesehen, und ich will nicht … ich will … ich muss sie …«
»Ja, okay, schon gut, Mercy. Lass uns reingehen. Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee?«
Esme führte sie in die Küche und setzte sie auf einen Stuhl. Mercy reckte den Hals, um das Zimmer zu sehen, in dem Amy schlief. Esme stellte einen Becher Kaffee auf den Tisch vor Mercys geballte Fäuste. Mercy beugte sich vor und legte die Stirn auf ihre Hände. Ihr ganzer Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht tränenüberströmt.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich dreh langsam durch.«
Esme starrte sie wie versteinert an; so hatte sie Mercy noch nie gesehen.
Mercy stand unvermittelt auf, wischte sich das Gesicht ab und ging durchs Wohnzimmer in Amys Schlafzimmer. Das Mädchen saß in einem Schlafanzug auf dem Bett, die Stöpsel eines MP 3-Players im Ohr. Sie blickte auf, riss die Ohrhörer heraus, und über ihr Gesicht huschte ein Ausdruck von so finsterer Bösartigkeit, dass Mercy einen Schritt zurückwich.
»Was willst du ?«, fragte Amy.
Und Mercy wusste es nicht. Sie wusste nicht, was sie wollte. Außer dass sie sich wünschte, dass alles gut werden würde. Aber nicht, wie man das bewerkstelligen sollte.
»Ich wollte bloß …«, begann sie.
»Was?«
»Ich wollte dir bloß sagen, wie sehr ich dich liebe.«
»Auf einmal könnt ihr es alle gar nicht oft genug sagen«, erwiderte Amy spöttisch.
Mercy drehte sich um, verließ das Zimmer und ging an der rauchenden Esme vorbei direkt aus der Wohnung.
»Bist du sicher, dass du keine Schwuchtel bist?«, fragte Skin. Die neuen Jalousien waren heruntergezogen, und er stand in der Mitte des Zimmers, den Daumen in eine Hosentasche gehakt, eine Dose Stella in der anderen Hand.
»Du meinst, bloß weil ich staubsauge?«, fragte Dan und saugte um Skins Füße herum, sodass der erst den einen, dann den anderen anhob.
»Zum einen das und dann die ganzen Gourmet-Fertigmahlzeiten, die du gekauft hast, frische Laken, eine neue Bettdecke, rei-zen-de Jalousien, und du hast eine halbe Stunde lang das Klo geputzt und einen neuen Sitz montiert. Der andere Wichser lässt sie bis auf die Unterwäsche nackt auf einer alten Matratze liegen, gibt ihr praktisch nichts zu essen und zwingt sie, in einen Blecheimer zu pissen. Und hier sind wir im Colville Estate Hilton mit Zimmerservice.«
»Hyatt«, sagte Dan. »Verdammt noch mal, das Grand Hyatt.«
Skin lachte schnaubend in sein Bier. »Das
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