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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Proll. Hoffentlich hat er den Schlafsack nicht versaut. Den lasse ich auf keinen Fall hier, der war teuer.
    »Schon komisch, das alles.«
    Hohlkopf.
    »Und wie.«
    Ich verlagere mein Gewicht, werfe scheinbar versehentlich die Cola-Flasche um und stelle sie wieder auf. Vielleicht fällt ihm so eher ein, dass er trinken könnte. Ich hab nämlich keinen Bock, mir hier den Arsch abzufrieren und irgendwelches Gelaber anzuhören. Aber er ignoriert die Flasche hartnäckig.
    »War vielleicht doch keine so tolle Idee«, sagt er mampfend.
    »Was?«
    »Na, abzuhauen.«
    »Super. Jetzt bin ich schuld, oder was? Sorry, dass ich dir helfen wollte. Wenn ich dich nicht gewarnt hätte, hätten dich in der Nacht noch die Bullen geholt.«
    »Nee, nee, das war super. Der Tipp und das Versteck und so. Aber irgendwie … Hier dumm rumzuhocken bringt auch nichts. Vielleicht sollte ich doch zu den Bullen gehen. Ich hab ja nichts getan.«
    Tja, Junge, da hättest du mal früher draufkommen sollen. Jetzt ist es zu spät.
    »Ist doch egal, ob du was getan hast oder nicht. Auf die Beweise kommt es an. Und die sagen: Mirko ist ein durchgeknallter Serienkiller. Glaubst du, die Bullen geben irgendwas darauf, was du sagst?«
    »Keine Ahnung, aber soll ich für immer hier bleiben, in diesem verdreckten Loch? Wenn es noch kälter wird, erfriere ich.«
    »Der Schlafsack reicht dir bis minus zwanzig Grad.«
    »Sehr witzig.«
    »Das ist doch nur vorübergehend, Mirko. Vertrau mir, ich krieg das schon hin.«
    Er lässt den Kopf sinken. »Ich kapier das einfach nicht. Mein Alter ist eine Drecksau, aber …«
    »Aber was?! Ich finde, das passt voll zu ihm. Deine Mutter hat er doch auch hängen lassen, als sie ihn brauchte. Und jetzt hat er dich eben in die Scheiße geritten, um seine Haut zu retten.«
    »Ich weiß nicht …«
    Mann, jetzt quatsch nicht so viel, und trink endlich!
    Ich schnippe meine Kippe weg und lege die Hand auf seinen Oberschenkel.
    »Halt durch, Mirko. Gib mir noch ein bisschen Zeit, um die Kohle zu beschaffen, dann verschwinden wir. Irgendwohin in den Süden. Spanien wäre schön. Oder ist dir Italien lieber?«
    Er wendet den Kopf und sieht mich an. Meine Güte, kann der traurig gucken. Und plötzlich ist da wieder der kleine Junge in seinem Gesicht, der sagt: Papa soll mich lieb haben und mit mir spielen. Aber Papa will nicht spielen. Nicht mit kleinen Jungs. Der spielt lieber mit Mädchen. Und nicht mal mit allen, sondern nur mit billigen Flittchen.
    »Spanien. Italien. Das ist alles ganz schön weit weg. Wie sollen wir da hinkommen?«
    »Wir schaffen das. Es wird alles so, wie du es dir immer gewünscht hast. Auch zwischen uns, meine ich.«
    Keine Regung in seinem Gesicht. Er glaubt nicht so recht an das, was ich ihm ausmale. Kein Wunder, so lange, wie ich ihn schon hinhalte. Aber er sagt auch nichts mehr dagegen. Wie sollte er auch? Er liebt mich. Und wer liebt, verliert.
    Ich stoße ihn mit dem Ellbogen in die Seite. »Kopf hoch, Alter, das wird alles wieder.«
    »Wenn du das sagst.«
    Endlich greift er nach der Cola-Flasche und schraubt den Verschluss ab, ganz langsam, so als wolle er noch etwas Zeit schinden, weil er weiß, dass es gleich ans Sterben geht. Aber wie immer weiß er gar nichts.
    »Ich hab nachgedacht«, sagt er. »Mein Alter ist nicht der Einzige, der ’nen Schlüssel zu meiner Wohnung hat. Du hast auch einen.«
    Wow, da hast du aber verdammt lange gebraucht, bis dir das eingefallen ist.
    »Was willst du denn damit sagen?«, rege ich mich künstlich auf. »Dass ich dir das ganze Zeug untergeschoben hab? Das macht aber nur Sinn, wenn ich die Mädels auf dem Gewissen hätte. Glaubst du das?«
    »Keine Ahnung. Aber für meinen Alten hast du dich schon ziemlich interessiert. Dauernd diese Fragen. Manchmal hat’s fast so ausgesehen, als wärst du mehr an ihm interessiert als an mir.«
    »Das hab ich dir doch alles erklärt, Mirko. Was soll der Scheiß jetzt?!«
    Er winkt ab. »Vergiss es. War nur so ein Gedanke.«
    Ein Glück, dass es mit dem Denken bei dir nicht so weit her ist. Sonst würdest du jetzt nicht gleich wieder aufgeben. Aber nicht mehr lange, dann ist es eh ganz vorbei, mit dem Denken und mit allem anderen auch.
    Er hebt die Cola-Flasche an die Lippen und trinkt in großen Schlucken. Mittendrin geht ein heftiges Zucken durch ihn hindurch, er reißt die Augen auf, die Flasche fällt ihm aus der Hand und knallt auf den Asphalt. Er hustet, keucht, würgt, spuckt. Vergebens. Panisch vor Angst fährt er

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