Stolperherz
irgendwann in der Gosse. Na ja, das ist mir immerhin lieber, als weiter mit ihm zusammenzuwohnen. Nach der Tour ziehe ich mit Lex und Schleicher zusammen, das war’s dann.«
»Wow.«
Ich beneidete Greg jetzt gerade zwar nicht um seinen Vater, aber doch um die Tatsache, dass er ausziehen konnte. Ich würde frühestens in drei Jahren so weit sein, was mir wie eine Ewigkeit vorkam, und selbst dann würde Lisa sicher noch einen Riesenterror machen, gefolgt von einem Kreislaufkollaps.
»Und du willst dann komplett von der Musik leben?«, hakte ich nach, denn das stellte ich mir ziemlich schwierig vor.
»Na ja, anfangs werde ich vielleicht noch jobben müssen, wie alle. Aber irgendwann klappt es mit dem Plattenvertrag, da bin ich mir sicher. Und selbst wenn nicht – es ist das Richtige. Für mich. Es ist das, was ich tun will, und nichts anderes. Er muss damit leben. Oder auch nicht, was weiß ich.«
Gregs Stimme klang traurig, irgendwie resigniert, und ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen, obwohl mir dieser Gedanke ziemlich schräg vorkam.
Herzproblemmädchen tröstet resignierten, weltschönsten Bassisten – das war crazy. Aber gut.
»Wenn es das ist, was du wirklich tun willst, dann wird er es schon irgendwann akzeptieren«, sagte ich und lehnte mich zurück. Ich wusste nicht, woher ich diese Weisheit nahm, aber auf eine unbestimmte Weise schien es mir eindeutig zu sein. Wenn man etwas liebte und dafür brannte, dann würde dieses Feuer früher oder später auch andere entzünden.
»Ich träume von der ganz großen Bühne, von Tausenden, die uns zujubeln, von der Liebe, die einem entgegenströmt.«
Dass genau das Szenario, von dem Greg träumte, gleichzeitig meine schlimmste Horrorvorstellung umschrieb, sagte ich nicht, und trotzdem konnte ich ihn verstehen. Das Gefühl, unsterblich zu sein in so einem Augenblick, das Gefühl, in Wellen von Begeisterung zu versinken. Nichts war mir ferner als dieses Verlangen und mein Kopf konnte diese Sehnsucht nicht nachvollziehen, aber ich spürte, dass mein Herz es konnte. Der Wunsch, geliebt zu werden, für das, was man war. Für das, was man selbst liebte.
»Das kann ich verstehen«, flüsterte ich in die Stille zwischen uns, »Liebe wird größer, wenn man sie teilt.«
Greg sah mich nachdenklich an. »Du bist wirklich bemerkenswert, Red«, sagte er.
»Ich? Ja, genau«, spottete ich, »ich hab noch nicht mal ein einziges mickriges Talent. Ich habe nicht diese eine Gabe, so wie du. Ich bin in allem völlig untalentiert, egal in was.«
Greg schüttelte entschieden den Kopf. »Du bist alles andere als das, Red.«
Dann schloss er die Augen, ohne ein einziges weiteres Wort. Ich wusste nicht, was er meinte, und öffnete meinen Mund, um ihn zu fragen, ließ es aber sein, als ich ihn gleichmäßig atmen hörte. Ich lehnte mich zurück und schloss ebenfalls meine Augen. Was hatte er damit gemeint, ich sei alles andere als untalentiert? Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim auf diese Aussage machen. Meine Gedanken schweiften umher, aber ich fand einfach keine Erklärung für Gregs Worte. Langsam merkte ich, wie meine Augen schwer wurden und mich die Müdigkeit übermannte, jetzt, da es so still um uns herum war. Hätte man mich vor ein paar Tagen noch gefragt, wie ich mir die Situation vorstellen würde, zusammen mit Greg in einer Nacht wie dieser alleine zu sein, hätte ich (mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich mir das Ganze sowieso nie hätte träumen lassen) mir sicher alles Mögliche vorgestellt, aber ganz sicher nicht, mit Greg über seinen Vater zu sprechen. Und doch könnte kein Kuss dieser Welt so intim sein wie das, was Greg mir soeben anvertraut hatte, und ich musste mit geschlossenen Augen lächeln.
»Warum lächelst du?«, fragte Greg und beugte sich zu mir rüber.
Er schlief also doch nicht.
»Machst du dich etwa lustig?«
Ich öffnete die Augen und sah, dass sein Gesicht ganz nah an meinem war, nur wenige Zentimeter lagen zwischen uns, fast so wie damals in der Teestube, als ich umgekippt war und er sich über mich gebeugt hatte. Ich konnte den Duft seiner Haut riechen, diese süßlich-salzige Mischung, die mich damals schon zum kurzzeitigen Verlust der Muttersprache gebracht hatte. Er lächelte ebenfalls und ich vergaß schlagartig, zu atmen. Er kam so nah, dass sich meine Augen wie von selbst schlossen, obwohl ich ihn doch ansehen wollte, in diesem unglaublichen Moment, der nur ein Traum sein konnte, und ich spürte erst seinen
Weitere Kostenlose Bücher