Stop Me - Blutige Botschaft (German Edition)
stärker beunruhigte als eine ganze Reihe von Flüchen. Denn dieselbe Art von Entschlossenheit hatte er gezeigt, ehe er Jack hier im Haus erschossen hatte.
Hilf Phillip, unterzutauchen , betete sie. Hilf ihm, für immer zu verschwinden!
Sie war sich schmerzvoll bewusst, dass sie die Hilfe des Himmels nicht verdient hatte. Sie betete nur selten zu Gott, und die meiste Zeit glaubte sie ohnehin, er sei taub. Aber ihre Schuld hielt sie nicht davon ab, zum Wohl ihrer Kinder um Hilfe zu flehen. Sie war der Meinung, das sei das Vorrecht einer Mutter, egal, was für ein schlechter Mensch diese Mutter war.
“Mom?”
Sie war dran. “Entschuldigung”, murmelte sie.
Er beobachtete sie, während sie ihren Zug machte. “Phillip war immer hier, wenn wir unsere Weihnachtsgeschenke ausgetauscht haben. Darum haben wir dieses Jahr doch damit gewartet, damit wir alle zusammen sein können.”
Das Bild, das Dustin für Phillip gemalt hatte, stand immer noch zugedeckt in der Ecke. Verstohlen warf sie einen Blick darauf. Dustin hatte nicht viel Talent, aber es war das Beste, was er tun konnte, alles , was er tun konnte, sodass seine Bemühungen ihr sehr viel bedeuteten. Seinem Bruder gefielen seine Arbeiten sogar noch besser als ihr. Wenn nicht gerade alles drunter und drüber gehen würde, hätte Phillip gewiss daran gedacht, das Bild mitzunehmen.
Andererseits könnte er es auch absichtlich zurückgelassen haben. Vögel, die frei im Himmel flogen, waren das Motiv auf fast allen Bildern, die Dustin malte. Eines davon zu behalten würde es für Phillip noch schwerer machen, ein neues Leben zu beginnen. Denn er war ausgebrochen, und das würde für Dustin niemals möglich sein. Dustin war in seinem schwachen Körper gefangen, bis er starb.
“Er hat eine Freundin”, log sie. “Er wird kommen, wenn er fertig ist.” In ein, zwei Tagen würde sie das Bild wegnehmen und sagen, sie hätte es ihm zugeschickt. “Wie gefallen dir die Bücher, die ich dir mitgebracht habe?”
“Ich liebe sie. Besonders das über Maler der Renaissance.” Ihre Geschenke lagen auf dem kleinen Servierwagen, das Geschenkpapier, das er zerrissen hatte, lag noch daneben.
“Gut. Und ich bin ganz angetan von dem Vogel, den du für mich gemalt hast.”
“Der, den ich für Phillip gemalt habe, ist ein bisschen anders.”
“Aber ich bin sicher, dass er genauso schön ist.”
“Ich freue mich schon darauf, wenn er das Bild auspackt.”
Sie zuckte zusammen, als ihr Magen brennend zu schmerzen begann. “Das macht er, wenn er nach Hause kommt. Du bist dran.”
Er rührte sich nicht.
“Dustin?”
“Ich glaube, du solltest zur Polizei gehen”, sagte er und warf die Karten beiseite.
Beverly ließ die Hand sinken und starrte ihn mit offenem Mund an. “Weswegen?”
“Wegen allem.”
“Du weißt nicht, was du da sagst.”
“Doch, ich weiß es.” Seine Stimme war weich und leise. “Du hast etwas Furchtbares getan, um meinetwillen, und du steckst in einer Situation fest, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Wenn du dich nicht selbst befreist, wirst du vielleicht nie dort herauskommen.”
“Nein.” Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie zur Polizei ging, würde man sie ins Gefängnis stecken. Was würde dann aus Dustin werden? Er hätte niemanden mehr, der sich um ihn kümmerte.
“Du kannst so nicht weitermachen”, beharrte er.
Seine ernsten und tief empfundenen Worte rührten ihr Herz. Tief in ihrem Inneren war sie so erschöpft, so müde wegen allem, was sie getan und geheim gehalten hatte. Sie würde mit Sicherheit in der Hölle schmoren. Aber was sie wirklich quälte, war die Erinnerung an die kleinen Kinder, bei denen sie Peccavi geholfen hatte, sie zu entwurzeln und umzupflanzen. Sie hatte versucht, sich einzureden, dass sie alle in gute Familien kämen, aber sie wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Peccavi war ein Geschäftsmann. Er verkaufte die Kinder, so wie er jedes andere Produkt verkauft hätte – er gab sie dem, der am meisten bot.
Eine Träne lief ihr über die Wange und tropfte auf den Tisch, ehe sie überhaupt merkte, dass sie weinte. Milo würde sich im Grab umdrehen. Er hatte versucht, so viel Gutes in seinem Leben zu tun. Aber er hatte nicht mehr erlebt, wie Dustin krank wurde, kannte nicht ihre Verzweiflung, die sie in die Hände eines Mannes getrieben hatte, der, nachdem sie sich einmal einverstanden erklärt hatte, sie für immer in seiner Macht hatte.
Solange sie es zuließ …
“Mom.” Dustin
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