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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Mittagessen. Das ist die reinste Zirkusveranstaltung. Das ist ein Hochzeitsbankett. Eine Festtafel. Ich meine, wer gibt schon zweihundert Euro für ein Mittagessen aus?«
    Kennedy wischte sich über den Mund und betrachtete seinen kleinen Bruder, der sich sichtbar unwohl fühlte unter all den gutbetuchten Dublinern und reichen amerikanischen Touristen, die sich aus den heiligen Hallen des Shelbourne durch den Park hierherbequemt hatten.
    »Gut zu leben ist die beste Art der Rache, Patrick.« Gott, wie sehr er den Tod verabscheute. Und mit welcher Inbrunst er dessen größte Gegner in die Arme schloss: Wein, gutes Essen und Gesellschaft. Die Liebe. Das Leben.
    Das Essen wurde serviert: Patricks Steak medium – natürlich hatte Kennedy angesichts dieses Frevels die Augen zur Stuckdecke verdreht –, Kennedys blutig, dazu Kartoffeln mit Butter und winzigen grünen Schnittlauchringen. Der smaragdgrüne Spinat in seinem kleinen Kupfertopf triefte ebenfalls vor Butter und war mit winzigen, krossen Speckwürfeln bestreut.
    »Wie geht es Anne und den Kids?«
    »Sehr gut. Du solltest mal vorbeikommen und ihnen Hallo sagen.«
    »Das werde ich. Leider muss ich wirklich heute Abend zurück. Ich komme euch nächste Woche besuchen. Und vielleicht zu Neujahr. Der Film ist bis dahin abgedreht. Und an der Uni sind dann noch Weihnachtsferien.«
    »Was hast du an Weihnachten vor?«
    »Ich dachte, ich fahre für ein, zwei Wochen nach Hause.«
    »Nach Hause?«
    »Los Angeles.«
    »Das ist also inzwischen dein Zuhause?«
    »Na ja, ich schätze schon.« Kennedy füllte sein Glas auf. Patrick akzeptierte einen kleinen Spritzer.
    »Also hast du nicht daran gedacht, die Festtage mit Millie und Robin zu verbringen? Wo du jetzt schon mal hier bist …«
    »Ach, die beiden haben sicher eigene Pläne. Robin ist jetzt fast siebzehn. Wahrscheinlich würden wir sie für ein paar Stunden beim Essen zu Gesicht bekommen, bevor sie mit ihren Freunden verschwindet.«
    Patrick nickte.
    Kennedy schwenkte seinen Wein in dem großen bauchigen Glas und starrte in den rubinfarbenen Strudel. Nach einer Weile fragte er: »Wie ist das so, Patrick?«
    »Was meinst du?«
    »So lange mit demselben Menschen zusammen zu sein? Wie viele Jahre sind es jetzt bei dir und Anne? Siebzehn? Die ganze Zeit seine Familie um sich zu haben?«
    Patrick lachte.
    »Was denn?«, fragte Kennedy.
    »Entschuldige. Aber schon der Tonfall deiner Frage … man könnte glauben, du würdest eines der größten Geheimnisse der Menschheit erforschen. Die meisten Menschen leben so. Sie lernen jemanden kennen, ziehen zusammen, kriegen Kinder …«
    »Aber wie schafft man es, all diese Jahre zusammen zu bleiben? Trotz all der Veränderungen …«
    »Veränderungen? Was für Veränderungen? Du stehst auf, du gehst zur Arbeit, du zahlst deine Rechnungen, und um dich herum wachsen deine Kinder heran wie kleine Pflänzchen. Weißt du, was dein Problem ist?«
    Was wollten alle nur immer von ihm? Vermutlich würde er irgendwann die Vorhänge aufziehen und vor seinem Haus eine Schlange erblicken, die sich um den halben Block zog. Lauter Menschen, die darauf warteten, dass sie endlich an die Reihe kamen, um ihm zu sagen, was sein Problem war. Wahrscheinlich würden sie vorher Nummern aus einem dieser Automaten ziehen müssen, wie es sie im Wartebereich von Ämtern gab.
    »Du hast zu viel Zeit, um über dich nachzudenken.«
    »Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glückliches Schwein.«
    »Ach ja? Und wie läuft das so für dich?«
    Kennedy lächelte. »Touché.«
    »Das scheint mir leichter zu sein, als dein Leben zu führen.«
    »Was führe ich denn für ein Leben?«
    Patrick deutete mit der Hand auf das Restaurant, das Essen, den Wein. »Dein Leben wirkt auf mich irgendwie unwirklich. Hierhin fliegen, dorthin fliegen, hier ein Essen, dort ein Essen. Das ist … willst du meine ehrliche Meinung hören?«
    »Tu, was du nicht lassen kannst.«
    »Obwohl es ziemlich glamourös wirkt, erscheint es mir vor allem etwas leer.«
    »Natürlich. Sicher. Es ist leer«, erwiderte Kennedy überzogen ungerührt, trank sein Glas aus und griff erneut nach der Flasche. Patrick hielt schützend seine Hand über sein Glas. »Ach, jetzt stell dich nicht so an. Wie oft haben wir schon Gelegenheit, zusammenzusitzen und was zu trinken? Was für ein Ire bist du eigentlich?«
    »Einer, der gleich zurück ins Büro muss.«
    »Warum?« Kennedy blickte auf seine Uhr. »Für zwei Stunden? Nimm dir den Rest des Tages frei.

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