Strom der Sehnsucht
entschieden zu gut ausgebildet.«
Sarus kam mit einem kupfernen Zuber herein und brachte Wasser, um ihn zu füllen. Offensichtlich war das Bad ein tägliches Ritual, denn Angeline hatte nicht gehört, daß es bestellt wurde, und weder Diener noch Herr sahen Anlaß zu einer Bemerkung. Obwohl Angeline gerne badete, war so viel Reinlichkeit etwas Neues für sie, und sie konzentrierte sich mehr darauf als auf Rolf, der den braunen Samtmorgenmantel mit goldenem Satinrevers, den Sarus am Fuß der Bettstatt für ihn ausgelegt hatte, verschmähte, von der Matratze sprang und in die Wanne stieg.
Er badete, wie er alles andere tat, schnell, geübt und mit sparsamen Bewegungen. Im Zimmer war es kühl, obwohl Sarus Feuer gemacht hatte, doch Rolf schien nichts davon zu spüren, er seifte sich ein und plantschte, während aus dem heißen Wasser Dampfwolken aufstiegen. Als er fertig war, ließ er sich von seinem Diener in eine saubere, leuchtend weiße Uniform kleiden, die allerdings nicht so prächtig und formell war wie am vorherigen Abend. Sarus stellte ihm die frisch geputzten Stiefel bereit, reichte ihm neue Handschuhe und fuhr ihm mit der Bürste durch das Haar. Mehr als einmal während dieser Prozedur sah Rolf Angeline an und freute sich über ihre Verlegenheit. Sie hatte den Eindruck, daß er mit ein wenig mehr hoheitlicher Hilflosigkeit als gewöhnlich den Prinzen spielte, denn Sarus zögerte, bevor er ihm das Schwert um die schlanke Hüfte legte.
Seine Heiterkeit war allerdings verschwunden, als er sich angekleidet hatte. Er gab Sarus Befehl, für Mademoiselle frisches Wasser zu holen und schloß: »Kurz, Er wird ihr jeden Wunsch erfüllen. Mit einer Ausnahme: Sie darf das Haus nicht verlassen. Gustav wird als Wache dableiben.«
Da sie wußte, daß letzteres für sie bestimmt war, fragte Angeline: »Wer ist Gustav?«
»Der älteste und daher in Eurem Fall vertrauenswürdigste meiner Männer.«
Seine glänzend weiße Uniform und übertrieben gute Laune brachten Angeline auf. Da er auf Antwort wartete, zwang sie sich zu einem Lächeln. »Ich werde die Probe aufs Exempel machen.«
»Davon würde ich abraten«, erwiderte er und kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu. »So alt ist er auch wieder nicht.«
Mit der Hand am Heft seines Schwerts beugte er sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Sie wich aus. Er legte ihr die Hand unter das Kinn, zwang sie, seine Lippen zu berühren und murmelte: »Das werde ich Euch auch noch abgewöhnen, wenn ich zurückkomme.«
»Falls ich dann noch hier bin«, erwiderte sie und schob mit mehr Entschiedenheit, als sie eigentlich in sich verspürte, das Kinn vor.
Der Prinz richtete sich auf, schritt zur Tür und drehte sich auf der Schwelle noch einmal um. »Ihr werdet hier sein.«
Angeline wartete, bis der Diener die Tür hinter sich und seinem Herrn geschlossen hatte und Rolfs Schritte auf der Treppe verklungen waren. Sie sah sich nach ihren Kleidern um, konnte sie aber nirgends entdecken. Da erinnerte sie sich, daß der Leibdiener ein weißes Knäuel in der Hand gehalten hatte. Warum hatte er wohl ihre Sachen mitgenommen? Vielleicht, um sie am Verlassen des Hauses zu hindern? Nein, sie hatte keinen solchen Befehl gehört, und Sarus hätte es nicht von sich aus getan. Vielleicht hatte er angenommen, daß es Lumpen seien, und das war beim Zustand ihrer Kleidung eine naheliegende Vermutung. Sie mußte ihn bei nächster Gelegenheit fragen.
Sie warf einen nachdenklichen Blick auf den Morgenrock des Prinzen am Fußende des Bettes und verwarf diese Möglichkeit gleich wieder. Ein Kleidungsstück, das ihm gehörte, wollte sie nicht anziehen. Sie drapierte das Laken um sich wie eine Toga und ließ sich vom Bett gleiten. Sie tappte zum Fenster, das nach vorne hinausging, schob den Vorhang beiseite und spähte hinaus.
Pferde stampften unter ihrem Fenster. Sie waren an einem schmiedeeisernen Pfosten festgebunden. Immer wieder bäumten sie sich auf. Ihr Fell glänzte in der Sonne. Tiefe Stimmen riefen. Männergelächter brach jäh ab. Dann wurde eine Tür zugeschlagen, und der Prinz und seine Männer kamen aus dem Haus heraus. Sie bestiegen die Pferde mit routinierter Sicherheit. Rolf hob die Hand, sein goldener Ring blitzte in der Sonne, und bald verschwanden sie unter gedämpftem Hufgetrappel auf dem grasbewachsenen Weg, der durch den Wald führte.
Angeline preßte lange die Stirn an die Fensterscheibe und starrte ins Leere. Das alles war kaum zu glauben! Endlich war sie allein, befreit
Weitere Kostenlose Bücher