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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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von der bebenden Spannung von Rolfs Anwesenheit, und in ihr wuchs das Staunen über die Unwirklichkeit des Geschehenen. So etwas passierte nicht, jedenfalls nicht einem anständigen jungen Mädchen aus guter Familie wie ihr. Fast kam es ihr so vor, als habe sie es sich selbst zuzuschreiben, und doch wußte sie nicht, wie sie anders hätte handeln sollen.
    Ob ihre Abwesenheit bemerkt worden war? Was wohl Tante Berthe dachte? Hatte sie Spuren dafür gefunden, daß der Prinz ins Haus eingedrungen war? Wahrscheinlich nicht; sie hatte die Hintertür für sie offengelassen, und so war es ihm ein leichtes gewesen, hineinzukommen. Da sie nicht in ihrem Bett übernachtet hatte, mußte es so aussehen, als sei sie gar nicht zurückgekehrt. Ob Madame de Buys wohl annahm, daß sie die Nacht in der Klosterschule verbracht hatte? Sie mußte mit dieser Möglichkeit rechnen, denn sie kannte Mutter Theresas Sorge um Angelines Wohlbefinden. Wartete sie also nur noch ein wenig ab, bevor sie Alarm schlug? Angeline wollte erst gar nicht an das Gespenst denken, das Rolf heraufbeschworen hatte: daß Madame de Buys überhaupt nicht Alarm geben wollte.
    Als leise an die Tür geklopft wurde, fuhr sie erschrocken zusammen und schlüpfte hastig wieder unter die Bettdecke. Erst dann rief sie: »Entrez!<<
    Es war Sarus, der ihr das heiße Wasser zum Baden brachte. Er verbeugte sich auf der Schwelle, trat ein und stellte die Kübel ab, die er hereingetragen hatte. Ohne Mühe hob er den Kupferzuber und schüttete das abgekühlte Seifenwasser in leere Eimer. Er schob die Wanne näher an das Feuer, das jetzt im Kamin prasselte, füllte sie, verließ das Zimmer und kehrte mit einer spanischen Wand zurück, die er sorgfältig aufstellte, um Angeline vor Zugluft abzuschirmen. Er legte Handtuch und Seife bereit, neigte noch einmal den vierschrötigen Oberkörper, nahm die Eimer mit dem kalten Wasser und ging hinaus.
    So viel Sorge um ihr Wohlbefinden war unerwartet und hatte wenig von einem Gefängnis. Angeline genoß es, in den dampfenden Zuber zu steigen und sich im Wasser zu entspannen. Auf den Rippen hatte sie einen blauen Fleck, wo Rolf sie gepackt und in den Sattel gehoben hatte, und ihr Mund brannte ein bißchen. Die weiße, blaugeäderte Haut ihrer Handgelenke war von blauroten Stellen gezeichnet, und zwischen den Schenkeln spürte sie einen vagen Schmerz, aber außer diesen Andenken erinnerte wenig an die Ereignisse der Nacht. Sie fühlte sich nicht verändert. Es war bestimmt ein Charakterfehler, aber sie spürte heute morgen kaum Neigung zu einem theatralischen Auftritt wie beispielsweise den, sich das Leben nehmen zu wollen. Der Gedanke an eine Wiederholung der Prozedur bereitete ihr zwar kein Vergnügen, war aber auch kein Grund zur Verzweiflung. Sie haßte den Mann, der sie hierher verschleppt und ihr seinen Willen aufgezwungen hatte; man sollte ihn strecken, vierteilen und in Stücken am Galgen aufhängen! Aber die Chance, daß es dazu kommt, ist so gering, dachte sie, daß ich mich deswegen nicht echauffieren will. Was nützt es schon, wenn ich mit dem Fuß aufstampfe und schreie? Wenn ich rase, wüte und ihn wüst beschimpfe? Damit verschwende ich nur unsinnig Kraft.
    Was aber kann ich tun? Vielleicht bietet sich eine Gelegenheit zur Rache, aber er ist so überlegen und gefährlich. Ich muß mich vorsehen. Auf jeden Fall muß ich ständig zum Kampf bereit sein und mich gegen die Attacken auf meinen Willen und meine Würde wappnen. Meine schärfste Waffe ist der Verstand.
    Wie lange wird der Prinz sich noch gedulden? Wann wird er zu physischen Mitteln greifen, um zu erfahren, was er wissen will? Letzte Nacht hatte er es nicht getan, doch war nicht zu erwarten, daß seine Selbstbeherrschung lange anhielt. Und wenn es ihr gelingen sollte, trotz dieser Prüfung standhaft zu schweigen, was dann? Mußte sie Rolfs Mätresse werden mit allen nächtlichen Pflichten dieser Stellung, solange es ihm paßte?
    Diese Aussicht ließ ihr zwar das Blut in den Adern gefrieren, aber auch der Gedanke an Heimkehr war nicht viel angenehmer. Das Bild, das Rolf gezeichnet hatte, besaß wenig Anziehungskraft, war aber so zutreffend, daß es in ihrer Erinnerung haften geblieben war. In der strahlenden Morgensonne lag ihr Ruf in Trümmern. Er war unwiederbringlich dahin, selbst wenn es ihr gelang, in Tante Berthes Haus zurückzukehren. Wie man sich die Mäuler zerreißen würde! Sowohl die Damen als auch die Herren würden die Köpfe schütteln und auf einmal

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