Stürmisches Herz
Zweihundertmeilenritt durch unbesiedeltes Gebiet endlich in eine Stadt zu kommen, ein Bad zu nehmen, etwas Ordentliches zu essen und in einem Bett zu schlafen. Jetzt verstand sie, warum die Viehtreiber das Bedürfnis hatten, auf den Putz zu hauen. Sie hoffte nur, daß sie es nicht ausgerechnet hier tun würden.
Sie bemerkte etliche Männer, die einen Revolver trugen, doch nur wenige von ihnen sahen wie Revolverhelden aus. Aber es gab in Waco wenigstens einen Marshai, der auf die Einhaltung der Gesetze achtete, was in Rockley nicht der Fall gewesen war.
Courtney sah aber auch viele Männer, die keinen Revolver trugen sowie sehr elegant gekleidete Damen, die in Begleitung von Gentlemen über die Plankenwege schlenderten. Und es gab Mexikaner, einige Indianer und sogar einen Chinesen. Waco schien tatsächlich eine Stadt zu sein.
»Das ist das Haus Ihres Vaters«, sagte Sägezahn. »Hier hat er auch seine Praxis.«
Es war nicht mit ihrem Heim in Chicago zu vergleichen, aber es war ein hübsches, einstöckiges, gut instand gehaltenes Haus; frisch angelegte Blumenrabatten verliefen rings um das Gebäude und am Zaun entlang. Auf der Veranda standen Stühle; eine gepolsterte Bank war mit Ketten am überhängenden Dach befestigt, so daß sie als Schaukel verwendet werden konnte. Courtney konnte sich sehr gut vorstellen, wie angenehm es war, an einem lauen Sommerabend hier zu sitzen. Man konnte die Hauptstraße von einem Ende bis zum anderen überblicken, während man selbst im Hintergrund blieb.
»Wie sieht seine Frau aus, Sägezahn?« fragte Courtney nervös, als sie vor dem Haus hielten.
»Miß Ella?« erwiderte Sägezahn. »Sie ist eine wirklich reizende Dame, das sagen alle. Sie ist Lehrerin und nach dem Krieg mit ihrem Bruder hierhergekommen. Er ist Anwalt und hat im Krieg einen Arm verloren. Miß Ella hat in seiner Anwaltskanzlei gearbeitet, bis die Lehrerin, die wir damals hatten, in den Osten zurückkehrte. Miß Ella hat der Stadt angeboten, den Posten zu übernehmen, und seither unterrichtet sie.«
Courtneys Unruhe wurde immer größer. Schon wieder eine Stiefmutter, mit der sie fertigwerden mußte. Ihr stand sehr deutlich vor Augen, wie unerträglich ihre erste gewesen war. Aber diesmal hatte ihr Vater nicht aus Schicklichkeitsgründen, sondern wahrscheinlich aus Liebe geheiratet, und das war hoffentlich ein großer Unterschied.
»Also, Madam?«
Sie hatte gar nicht bemerkt, daß Sägezahn darauf wartete, ihr aus dem Wagen zu helfen. »Entschuldigen Sie.« Sie ergriff seine Hand und sprang auf den Boden. »Ich bin etwas aufgeregt, denn es ist so lange her, seit ich zum letzten Mal mit meinem Vater beisammen war. Und in diesen vier Jahren habe ich mich sehr verändert. Sehe ich wenigstens halbwegs präsentabel aus?«
»Sie sehen so hübsch aus, daß sogar ein eingefleischter Junggeselle wie ich Sie vom Fleck weg heiraten würde.«
»Heißt das jetzt ja?« lachte sie.
Er holte ihre Reisetasche hinter dem Kutschbock hervor und zeigte dann auf die Pferde, die hinten am Wagen angebunden waren.
»Ich werde Ihre Pferde in den Mietstall bringen. Ihr Vater hat dort seinen Buggy eingestellt.«
»Danke.« Courtney hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. »Und danke dafür, daß Sie mich in die Stadt gebracht haben. Werde ich Sie bald wiedersehen?«
»Das ist anzunehmen. Fletcher wird wahrscheinlich mich oder einen der Männer täglich in die Stadt schicken, damit wir Sie aufsuchen.«
»Um zu sehen, ob Chandos aufgetaucht ist?«
»Richtig. Es ist auch möglich, daß er jemanden anstellt, der das Haus Ihres Vaters ständig beobachtet. Ich traue es ihm zu.«
Courtney schüttelte bedauernd den Kopf. »Dabei wird nichts herauskommen. Es ist schade, daß er das nicht einsehen will.«
»Er sieht nur, daß sich ihm eine Chance bietet, seinen Sohn wiederzubekommen. Und er hofft, daß Kane jetzt bereit sein wird, sich Ihretwegen irgendwo niederzulassen. Er wäre schon damit zufrieden, daß Chandos in der Nähe der Ranch lebt, so daß er ihn von Zeit zu Zeit sehen kann. Wenn Sie erlebt hätten, wie die beiden aufeinander losgegangen sind, würden Sie es nicht für möglich halten, aber Fletcher liebt seinen Sohn.«
»Chandos hat mich einmal gefragt, ob ich so leben könnte wie er, immer unterwegs sein, nie länger als ein paar Tage an einem Ort bleiben. Ich glaube nicht, daß er sich jemals irgendwo niederlassen wird, Sägezahn.«
»Wenn Sie mir die Frage gestatten – wie sind Sie auf dieses Thema zu sprechen
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