Stürmisches Paradies
Aidan kümmerte, waren Blake und Luke gemeinsam zum Haus geeilt. Als er rannte, bis ihm die Lungen brannten, hatte Blake sich alle möglichen schrecklichen Dinge vorgestellt und sie alle hatten zum Inhalt gehabt, dass Alicia in einer Blutlache lag.
Jetzt, da er den Geruch von Angst und Blut immer noch wahrnahm, schnappte Blake zitternd nach Luft. Er atmete immer wieder tief ein, bis er spürte, dass sein Herz wieder normal schlug. Durch die offene Tür hörte er Alicias Stimme und ließ sich von dieser einhüllen. Sie lebte und war in Sicherheit.
»Wo ist Blake?«, hörte er Luke fragen.
»Ich bin hier draußen«, wollte er sagen. Er wollte ins Zimmer gehen, Alicia in die Arme nehmen und nie wieder loslassen. Es brachte ihn beinahe um, dass er es nicht tun konnte. Aber falls er es täte, was dann? Es würde den Schmerz, sie zu verlieren, bloß verlängern. Sie hatten sich Lebewohl gesagt, und nichts hatte sich geändert. Alicia wollte kein Leben auf See verbringen, und er wollte genau das tun. Diese Wahrheit versetzte ihm jedesmal, wenn er darüber nachdachte, einen Stich, aber Alicia hatte recht. Auf dem Schiff zu bleiben, wäre ihr gegenüber nicht fair, und an Land zu bleiben, würde Blake unglücklich machen. Es war besser, einfach fortzugehen.
Ganz gleich wie sehr es schmerzte.
»Er ist gegangen«, antwortete Alicia, und in ihrer Stimme hörte Blake dieselbe Verzweiflung, die ihm selbst schier das Herz zerriss.
»Was sollen wir mit diesen Männern hier machen?«, fragte Samantha.
Es folgte ein Moment des Schweigens, dann hörte man Lukes Stimme sagen: »Wenn Joe zurückkommt, werden wir sie aufs Meer bringen. Falls Lewis einen Brief über Samantha hinterlassen hat, dann ist es das Letzte, was wir brauchen, dass er auf der gleichen Insel stirbt, auf der sie lebt. Auch wenn Nate als Steele übernommen hat, würde es möglicherweise zu viele Fragen und Verdächtigungen wecken.«
In der Dunkelheit neben dem Haus nickte Blake zustimmend zu Lukes Logik. Weil er wusste, dass Alicia in guten Händen war, warf Blake noch einen letzten Blick auf das Haus zurück und ging dann fort.
22
Alicia trat an Deck und wurde von der vollen Wucht der Sonne und ihren Spiegelungen auf dem Meer geblendet. Sie blinzelte, ließ den Blick sinken und ging vor bis zum Bug. Obwohl sie Sam und Luke hinter sich reden hörte und Joe und Aidan im schmalen Schatten des Rettungsbootes sitzen sah, tief in eine Partie Schach versunken, ignorierte sie sie alle. Sie wollte ganz einfach nur ihre aufgewühlten Gedanken in den Wellenbewegungen des Wassers verlieren.
Doch sie hätte ihre Schwester besser kennen müssen. Sobald Alicia sich mit ihrem Becher voll Ingwertee am Fuß des Bugspriets niedergelassen hatte, hörte sie schon das Tappen von Sams Schuhen herannahen.
»Du hast ja nicht sehr lange gebraucht«, sagte Alicia und zwang sich zu einem Lächeln.
Sams Lippen zuckten und sie ließ sich an der Reling nieder. »Ich warte schon seit Tagen darauf, mit dir zu reden, aber da du unter Deck geblieben bist, nahm ich an, du brauchtest einfach etwas Zeit für dich allein.«
Alicia nickte und trank einen großen Schluck Tee, während sie darum kämpfte, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Sie hatte genug geweint, seitdem sie St. Kitts vor drei Tagen verlassen hatten, und obwohl ihr Verstand wusste, dass sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen und aufhören musste, Trübsal zu blasen, so brauchte ihr Herz doch viel länger, um das zu begreifen.
»Brauchte ich.« Sie holte tief Luft und atmete die feuchte, salzige Seeluft ein. Nach Tagen unter Deck, wo sie nur nasses Holz gerochen hatte, schien ihr die Frische des offenen Meeres umso willkommener zu sein.
»Und jetzt?«, fragte ihre Schwester, und ihre Augen blickten sorgenvoll.
»Es geht mir gut, Sam.« Sie presste sich die Hand auf den Bauch. »Es muss mir doch gut gehen, nicht wahr?«
Ihr Herz verkrampfte sich schmerzhaft, und Alicia wandte sich dem Wasser zu. Blake zu verlieren war schon schmerzlich genug, aber wie würde es sein, in das Gesicht seines Kindes zu schauen und dort jeden Tag dessen Vater zu sehen und zu wissen, dass sie ihn verloren hatte? Sie unterdrückte ein Schluchzen, das ihr in die Kehle stieg und hoffte, die Nässe in ihren Augen auf die gleißende Sonne schieben zu können.
»Es wird nicht einfach werden.«
»Es wird mir gut gehen, Sam. Uns wird es gut gehen. Ich habe ein Zuhause und einen Beruf. Ich werde schwerlich Entbehrungen leiden.«
Sam runzelte die Stirn.
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