Sturm auf mein Herz
mehr. Das Gebüsch in der Gegend hat schon seit hundert Jahren nicht mehr gebrannt.«
Stirnrunzelnd ließ er den Blick von ihrem Haus über das wilde Land schweifen. Der Chaparral war mehr ein niedriger Wald als hohes Buschwerk. Sechs Meter hoch, dicht, verschlungen und knochentrocken war er in der Feuersaison eine ständige Bedrohung für ihr Heim.
»Es überrascht mich, dass du dir nicht ein hübsches grünes Tal gesucht hast«, bemerkte er. »Wäre doch viel sicherer.«
»Und hässlicher. Die Aussicht ist ebenso mies wie die Luft. Hier oben kann man wenigstens atmen.«
»Bist wohl nicht gerne eingesperrt, hm?«
Sie antwortete nicht.
Trauertauben flatterten erschrocken aus dem Gebüsch direkt hinter der Feuerschneise auf. Kreischend flogen die rosiggrauen Vögel zu einer weiter entfernten Schlucht, deren Hänge zu steil für Menschen waren und wo sie ihre Ruhe hatten.
Der schmale Fußweg endete vor einer Wand aus Chaparral, die so hoch war wie zwei Stockwerke. Shelley schob sich seitlich ins dichte, teilweise dornige Gebüsch.
»Pass auf deine Augen auf«, riet sie. »Es gibt keinen richtigen Pfad, aber ich weiß, wie man hier durchkommt.«
Cain wartete, bis sie weit genug vor ihm war, dass ihm die Zweige, durch die sie sich drängte, nicht ins Gesicht schnalzten. Dann folgte er ihr in den dichten Chaparral, wobei er automatisch die Schrittlänge dem schwierigen Gelände anpasste, um nicht bei jeder Gelegenheit mit dem Rucksack hängen zu bleiben.
Trotz des unebenen Geländes und der Tatsache, dass es keinen anständigen Weg gab, machte Shelley kaum ein Geräusch. Mit nicht mehr als einem leisen Rascheln bahnte sie sich ihren Weg den steilen Abhang hinunter.
Zahm, was? Ein Hauspflänzchen?
Den Teufel ist sie, dachte er mit kühler Befriedigung. Sie marschiert diesen steilen, dicht bewachsenen Abhang hinunter, als wäre sie hier zu Hause. Und das ist eine Gegend, die seit der Entdeckung Kaliforniens kaum eines Menschen Fuß mehr betreten hat.
Und gerade deshalb gefällt es ihr so. Weil das Land wild und unberührt ist.
Aber er behielt sein Wissen für sich. Er wollte sich im Moment nicht mit ihr streiten.
Sie braucht bloß ein bisschen Zeit. Sie ist nicht dumm. Sie wird die Wahrheit am Ende erkennen.
Am Grund der Schlucht lagen überall runde, vom Wasser glatt geschliffene Felsbrocken herum. Diese Steine verrieten ihm, dass sich die Flussbetten trotz der momentanen Dürre, wenn der Regen dann schließlich kam, in reißende Bäche verwandelten. Stark genug jedenfalls, um mächtige Felsbrocken mit sich zu schleifen.
Im Moment jedoch war kein Wasser in Sicht. Nur die Hitze schien hier ein wenig nachzulassen. Das Sonnenlicht am Tage konnte den dichten Chaparral kaum durchdringen. Die waldhohen Büsche, mindestens dreimal so groß wie Cain, warfen tiefe Schatten. Die Luft war warm und würzig. Es roch nach Harz und Kräutern.
Shelley wandte sich zu ihm um. Leise, wie um die Dämmerung nicht zu stören, sagte sie: »Wenn man im Winter hier sitzt und ganz still ist, kann man beobachten, wie die Tiere an diese Tränke kommen.«
Er schaute dorthin, wo sie hinwies. Getrocknetes Moos wucherte dort, nicht größer als ihr Rucksack. In der Tränke befand sich kein Wasser mehr. Sie sah eher wie ein kleiner, rissig-brauner Fußabstreifer aus als wie ein Wasserloch.
»Früher hatte sie immer ganzjährig Wasser«, erzählte sie. »Aber der vorletzte Winter war sehr trocken und der letzte fast noch schlimmer. Momentan ist das Wasserloch ausgetrocknet.«
»Und was ist mit den Tieren?«
»Die kommen an meinen Pool zum Trinken. Sogar die Klapperschlangen.«
»Und du lässt sie.«
»Sie waren schon hier, lange bevor ich kam.«
Sie durchquerte die Schlucht und begann rasch, den gegenüberliegenden steilen Hang zu erklimmen. Etwa zweihundert Meter weiter oben teilte sich das dichte Buschwerk, und blankes Schiefergestein bildete eine kleine Lichtung. Sie blieb stehen und lächelte ihn erwartungsvoll an.
Wortlos nahm er den Rucksack ab und breitete die Thermodecke aus. Sie schaute ihm, ein wenig außer Atem von dem steilen Aufstieg, zu. Da merkte sie, dass er überhaupt nicht schwer atmete.
»Du gehst wohl sehr viel Wandern und Klettern«, sagte sie fast wehmütig.
Er hörte ihren Ton und hätte fast eine Bemerkung gemacht, hielt sich aber in letzter Sekunde zurück.
»Ja, schon«, sagte er. »Satellitenfotos sind zwar gut, um die vielversprechendsten Gebiete einzuengen, ersparten es einem aber trotzdem nicht,
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