Sturm auf mein Herz
das Land mit den eigenen zwei Beinen abzuwandern.«
»Oder zu kraxeln.«
»Ja, das stimmt. Mutter Natur hält oft die besten Mineralvorkommen an den unmöglichsten Orten versteckt.«
»Aber du liebst sie. Die Wildnis.«
Er war gerade beim Auspacken und blickte auf, in der Erwartung, Missbilligung in ihrer Miene zu lesen, auch wenn ihre Stimme nicht so geklungen hatte. Was er jedoch sah, war, dass sie ihn so akzeptierte, wie er war.
Ein Wanderer.
Wir können nicht ändern, was wir sind. Aber wir können zumindest zusammen sein, nicht wahr? Für eine Weile.
»Ja, ich liebe die Wildnis«, erwiderte er fest. »So wie du das bisschen Wildnis liebst, das du dir zugestehst.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. Sie waren nun grau, wie die Dämmerung, und voll von einer Gewissheit, die sie nicht teilen konnte. Nicht teilen wollte.
»Sieh dich doch um«, sagte er, auf das Buschland weisend. »In gewisser Weise ist es hier genauso wild.«
»Das ist doch lächerlich. Wir sind doch umgeben von der Stadt.«
»Sind wir das? Was glaubst du, wie viele Menschen seit Be-ginn der Zeit schon hier waren, hier, wo wir jetzt stehen? Tausend? Hundert? Zehn?« Und dann leise: »Zwei, Shelley. Du. Ich.«
»Das ist nicht das Gleiche, wie in der Wildnis zu sein.«
Sie nahm den Rucksack und begann, das Essen auszupacken. Für sie war das Thema damit abgeschlossen.
»Inwiefern ist es nicht das Gleiche?«, fragte er.
Eine vernünftige Frage.
Leider hatte sie keine vernünftige Antwort darauf.
»Ich weiß nicht«, sagte sie gepresst. »Ich weiß nur, dass es so ist. Ich kann das hier haben und ein Zuhause dazu. Aber mach dir keine Sorgen, ich erwarte nicht, dass ein Wanderer das versteht.«
Er zögerte. Er wusste, dass er sie eigentlich nicht drängen sollte. Doch er konnte nicht so tun, als wäre sie nicht vollkommen im Irrtum.
»Ein Zuhause ist kein Ort«, sagte er. »Es ist ein Gefühl. So wie Liebe. Versteck dich nicht hinter den schönen Mauern, die du dein Zuhause nennst. Erlaube dir, mich zu lieben. Das ist das einzige Zuhause, das wir beide je brauchen werden.«
Ihr Kopf schoss hoch. »Ein Zuhause ist nicht -«
Er küsste sie rasch und erstickte so ihre Worte. Als er den Kopf wieder hob, strich er mit dem Daumen über ihre Lippen.
»Nicht mehr, nicht jetzt«, sagte er. »Hör mir zu, mein Herz. Bitte. Dann werde ich nicht mehr davon reden. Ich verspreche es.«
Mit angehaltenem Atem wartete er auf ihre Entscheidung. Sein Blick haftete hungrig an ihrem Gesicht. Gerade als er glaubte, sie verloren zu haben, nickte sie. Er berührte ihre Lippen mit dem Daumen, wollte sie küssen, wusste aber, dass er das nicht durfte. Noch nicht.
Vielleicht nie wieder.
»Ich möchte mit dir lachen, mit dir streiten, dich lieben, bis wir nicht mehr zwei sind, sondern nur noch einer«, sagte Cain ruhig. »Ich will dich heiraten und mein Leben mit dir verbringen.«
Shelleys große, rehbraune Augen funkelten tränenfeucht im Licht der Dämmerung.
»Wir gehören zusammen, und das hat nichts damit zu tun, wann wir uns kennen gelernt haben oder wie lange wir uns schon kennen«, sagte er. »Ich habe dich schon immer gekannt, dich schon immer geliebt. Habe einfach ein paar Jahre gebraucht, um dich zu finden. Zu viele Jahre. Bitte verschwende nicht noch mehr von unserem Leben. Heirate mich, lebe mit mir, liebe mich.«
Shelleys Tränen rannen heiß über die Finger, die ihre Lippen streichelten.
»Du musst mir jetzt noch keine Antwort geben«, sagte er sanft, aber unnachgiebig. »Ja, ich lasse dich gar nicht. Im Moment bist du nämlich fest davon überzeugt, dass die Liebe zu einem Wanderer all deine Träume zerstören würde, alles was du hast, ja selbst dich.«
Sie hielt den Atem an und erbleichte, als sie ihre schlimmsten Ängste laut ausgesprochen hörte.
»Das ist es also«, sagte er. »Deshalb hast du Angst vor mir und vor deiner Wildheit. Das brauchst du nicht, Kätzchen. Du verlierst dein Zuhause nicht. Du findest es. Wir beiden werden in den Armen des anderen ein echtes, ein wahres Zuhause finden.«
Er küsste die heißen Tränen weg, die auf ihren Wimpern zitterten, die, die ihr die Wangen herabliefen.
»Cain -«
»Lass uns jetzt einfach nur zusammen sein«, sagte er rasch. »Du vergoldest mein Heim, und wenn du fertig bist, reden wir weiter.«
»Aber -« »Sag ja, mein Herz«, flüsterte er.
Sie wusste nicht, ob er sie bat, nicht mehr mit ihm zu streiten, oder ihr Versprechen wollte, ihn auch in Zukunft zu lieben. Sie wusste
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