Sturm der Verfuehrung
den Tumult in seinen graublauen Augen hinein. »Weil du mir ausdrücklich erklärt hattest, dass das Waisenhaus allein meine Sache sei, nicht deiner Verantwortung unterliege und alles, was damit zusammenhinge, dich nicht interessiere. Dass es ein Teil meines Lebens wäre und auf keinen Fall ein Teil des deinen.«
Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Hast du mir nicht seit Wochen gepredigt, seit wir verheiratet sind, dass du nichts von meinen privaten Angelegenheiten wissen willst, nicht damit belästigt werden willst, nicht in mein Leben einbezogen werden willst? Also habe ich dich nicht damit behelligt. Ist es nicht genau das, was du wolltest?«
Sie war laut geworden. Als sie die Veränderung in seinen Augen wahrnahm, Hilflosigkeit darin erscheinen sah, als hätte er plötzlich seinen Anker verloren, hielt sie inne und sagte dann leiser: »Ich habe dir nichts erzählt, weil ich dachte, dass du es nicht wissen wolltest.«
Er wandte den Blick nicht ab, versuchte nicht zu verbergen, was sie darin lesen konnte, obwohl sie ihm anmerkte, dass sein Instinkt ihn dazu drängte.
Stattdessen schaute er weiter auf sie herunter, und sie sah, wie sich ein Spalt in der Mauer auftat, sah, wie dieser größer wurde, sah das ganze Bauwerk schwanken und dann in sich Zusammenstürzen, bis nichts mehr zwischen ihnen stand.
Einen Moment lang herrschte absolute Stille. Dann atmete Charlie langsam tief ein, ging zu dem Armlehnstuhl gegenüber und setzte sich. Ohne die Augen auch nur einen Moment lang von ihr zu wenden.
Kein Schutzschild schirmte seinen Blick mehr ab.
»Ich habe meine Meinung geändert.«
Seine Worte kamen langsam, von einer Woge von Gefühl getragen. Sarah wusste, dass er nicht nur das Waisenhaus meinte.
Ohne ihren Blick loszulassen lehnte er sich langsam zurück. »Auch was unsere Ehe angeht. Aber im Moment müssen wir uns auf das Waisenhaus konzentrieren. Über das andere reden wir später.«
Es war keine Frage, und doch wartete er auf ihre Antwort - ihre Zustimmung. In dem Wissen, dass ihm von dieser abrupten Kehrtwendung schwindlig sein musste, dass er nicht so sicher und selbstverständlich mit seinen Gefühlen umzugehen verstand wie sie, dass früher Nachmittag war und Barnaby es sicher kaum erwarten konnte, sich zu ihnen zu gesellen, neigte sie den Kopf.
Diesmal fiel das Einatmen ihm ein wenig leichter. »Erzähl mir von den Zwischenfällen. Und von den Offerten.«
Sie tat es. Da er mit den Umständen vertrauter war als Barnaby, konnte sie sich kürzer fassen.
Als sie geendet hatte, studierte er einen Moment lang ihr Gesicht und sagte dann: »Was du noch nicht weißt ...«
Knapp und präzise unterrichtete er sie über Barnabys Auftrag. Ihr den Zusammenhang zu erläutern erübrigte sich - ihr Blick verriet ihm, dass sie diesen sofort erkannte. Charlie schilderte ihr die verschiedenen Wege, die sie eingeschlagen hatten - er, indem er sich von Malcolm in die Finanzierung von Eisenbahngesellschaften einführen ließ, während Barnaby und Gabriel sich auf die Suche nach Grundstücken machten, die den Schurken mit Blick auf den wahrscheinlichen Verlauf der Strecke Bristol-Taunton interessieren konnten.
Grimmig schloss er: »Wie es scheint, haben wir nicht weit genug vorausgedacht und uns deshalb in die falsche Richtung bewegt.« Er schaute zur Tür. »Wir sollten Barnaby holen. Ich habe ihn mit der Karte in der Bibliothek allein gelassen.« Sein Blick kehrte zu Sarah zurück.
Die Neuigkeiten über den Schurken hatten sie erschreckt, und sie hatte eingesehen, dass der Schutz des Waisenhauses im Moment oberste Priorität hatte. Sie nickte. »Es ist Zeit für den Tee. Wie können ihn ja trinken, während wir reden.«
Charlie stand auf und betätigte den Klingelzug. Als Crisp erschien, bestellte Sarah Tee für drei, während Charlie einen Lakai anwies, Barnaby zu holen. »Sagen Sie ihm, er soll die Karte mitbringen.«
Zehn Minuten später saßen sie mit der topografischen Karte vor sich um einen Tisch herum.
Nachdem sich bestätigt hatte, dass die Quilley Farm tatsächlich von entscheidender Bedeutung für jede Zugverbindung zwischen Taunton und Watchet war und damit so gut wie garantiert der Schurke hinter den Offerten und Zwischenfällen steckte, berichtete Barnaby über den Stand seiner Ermittlungen. »Von Montague gibt es noch nichts Neues, aber ihm gefiel dein Vorschlag, nach dem Ursprung der Gelder zu forschen. Er glaubt zu wissen, wie er ein paar Antworten bekommen kann. Gabriel und ich haben
Weitere Kostenlose Bücher