Sturm ueber roten Wassern
Wind blies ihnen ins Gesicht, und während sie pullten, wurden sie von einem nach Schwefel stinkenden Schauer aus Funken und verbrannten Papierfetzen übergossen.
Ihr Ziel war nicht schwer zu finden; an der Nordwestspitze der Castellana lag die Eingangsgrotte zu den Elderglaskavernen, in die Merrain sie gebracht hatte, als sie sie zum ersten Mal im Auftrag des Archonten entführte.
An der Anlegestelle des Archonten hatte man die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt.
Als Locke und Jean die letzte Biegung passierten und in die prismatische Glashöhle hineinglitten, spannten ein Dutzend Allsehende Augen ihre Armbrüste und knieten hinter fünf Fuß hohen, gebogenen Eisenschilden nieder, die als Schutzwall in den Boden eingelassen waren. Hinter ihnen bemannte ein Trupp regulärer Verrari-Soldaten eine Ballista, eine kleine Belagerungsmaschine, die ihr Boot mit einem zehn Pfund schweren Bolzen zerschmettern konnte. Ein Offizier der Allsehenden Augen zog an einer Kette, die aus einer Öffnung in der Wand hing, wahrscheinlich um oben Alarm auszulösen.
»Hier ist das Anlegen verboten!«, brüllte der Offizier.
»Hören Sie mir bitte gut zu!«, rief Locke zurück. Das dumpfe Tosen des Wasserfalls hallte durch die Kaverne, und sie konnten sich keinen Fehler erlauben. »Wir haben eine Botschaft für die diensthabende Dame.«
Ihr Boot prallte gegen die Kante des Anlegers. Locke fand es beunruhigend, dass so viele Armbrüste auf sie zielten, um sie einzuschüchtern. Doch der Offizier der Allsehenden Augen kam zu ihnen herüber und kniete sich neben ihrem Boot auf den Steinpier. Durch die Sprechöffnungen seiner konturlosen Maske klang seine Stimme metallisch.
»Sie sind hier in Angelegenheiten der diensthabenden Dame?«
»Allerdings«, entgegnete Locke. »Richten Sie ihr bitte wortwörtlich aus: ›Zwei Funken wurden entzündet, und zwei lodernde Feuer kehren zurück.‹« »Das werde ich«, erwiderte der Offizier. »Doch zuerst …«
Nachdem sie ihre Armbrüste abgelegt hatten, trat ungefähr die Hälfte der Allsehenden Augen hinter ihren Schilden hervor, um Locke und Jean aus dem Boot zu hieven. Man hielt sie fest, und sie wurden von Kopf bis Fuß abgeklopft; man konfiszierte ihre Stiefel-Stilette und Lockes Beutel mit Gold. Einer der Allsehenden Augen prüfte den Inhalt und reichte die Börse an den Offizier weiter. »Solari. Sollen wir sie einziehen?«
»Nein«, entschied der Offizier. »Bring die beiden in das Zimmer der diensthabenden Dame, und gib ihnen die Börse zurück. Wenn Geld allein den Protektor töten könnte, dann hätten die Priori es längst getan, oder?«
10
»Sie haben was mit der Roter Kurier gemacht?«
Maxilan Stragos’ Gesicht war von Wein, Anstrengung und Überraschung gerötet. So prunkvoll gekleidet hatte Locke den Archonten noch nie gesehen; er trug ein Cape mit Längsstreifen aus meergrüner Seide und Goldbrokat, darunter einen Rock und Kniehosen, die ebenfalls golden schimmerten. An allen zehn Fingern funkelten Ringe, Rubine im Wechsel mit Saphiren, die den Farben von Tal Verrar ziemlich nahekamen. In einem reich mit Gobelins ausgestatteten Zimmer im ersten Stock des Mon Magisteria stand er vor Locke und Jean, flankiert von zwei Allsehenden Augen. Er bot den beiden Dieben zwar keinen Platz an, aber man hatte sie auch nicht gefesselt. Oder in die Schwitzkammer gesteckt.
»Wir … äh … benutzten das Schiff, um einen erfolgreichen Kontakt zu den Piraten herzustellen.«
»Und dabei habt ihr die Kurier verloren!«
»So könnte man es nennen.«
»Und Caldris ist tot?«
»Schon seit geraumer Zeit.«
»Jetzt verraten Sie mir eines, Lamora! Welche Art von Reaktion hatten Sie sich erhofft, als Sie mir diese phänomenale Nachricht unterbreiteten?«
»Tja, über einen Herzschlag hätte ich mich am meisten gefreut, aber ich gebe mich auch mit einem bisschen Geduld zufrieden, während ich Ihnen den Sachverhalt erläutere.«
»Tun Sie das«, forderte der Archont barsch.
»Als die Kurier von Piraten aufgebracht wurde, machte man alle an Bord zu Gefangenen.« Locke hatte beschlossen, Einzelheiten wie Verletzungen oder die Schrubberwache auszulassen.
»Wer hat das Schiff gekapert?«
»Drakasha.«
»Zamira ist also noch am Leben? Und ihr Schiff – war das die alte Giftorchidee?«
»Ja«, bestätigte Locke. »Das Schiff ist in gutem Zustand, und zurzeit liegt es ganz in der Nähe vor Anker. Ungefähr zwei Meilen … ähem …« Mit dem Finger zeigte er dorthin, wo er Süden
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