Sturm ueber roten Wassern
wochen-, wenn nicht gar monatelang in Sicherheit. Während dieser Zeit erfahren Sie vielleicht durch einen glücklichen Zufall mehr über die Natur der Substanz. Achten Sie sorgfältig auch auf die scheinbar geringsten Hinweise. Halten Sie Augen und Ohren offen. Sowie Sie ausreichende Informationen gesammelt haben, kommen Sie zu mir zurück. Ich werde meine Bediensteten anweisen, Sie sofort ins Haus zu lassen, egal ob bei Tag oder bei Nacht. Und dann werde ich sehen, was ich für Sie tun kann.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen, Madam«, meinte Locke.
»Sie Ärmsten, Sie tun mir aufrichtig leid! Ich werde für Sie beten. In der kommenden Zeit werden Sie mit einer großen Belastung leben müssen … und sollten Sie letzten Endes doch keine Lösung für Ihr Problem finden, kann ich Ihnen immer noch meine anderen Dienste anbieten. Wie du mir, so ich dir, heißt es doch.«
»Sie sind eine Geschäftsfrau nach unserem Herzen«, erklärte Jean und stand auf. Er setzte seine winzige Kaffeetasse ab und legte einen goldenen Solari daneben. »Wir danken Ihnen für Ihre Zeit und Ihre Gastfreundschaft.«
»Gern geschehen, Meister de Ferra. Möchten Sie jetzt gehen?«
Locke erhob sich ebenfalls und rückte seinen langschößigen Rock zurecht. Er und Jean nickten gleichzeitig.
»Also gut. Valista wird Sie auf demselben Weg zurückbringen, auf dem Sie hergekommen sind. Entschuldigen Sie bitte nochmals die Augenbinden, aber … diese Vorsichtsmaßnahme dient sowohl meinem als auch Ihrem Schutz.«
Der genaue Ort, an dem sich das Besucherzimmer der Bleichen Therese befand, war ein Geheimnis; er lag irgendwo versteckt zwischen den Hunderten von seriösen Geschäften, Kaffeestuben, Tavernen und Wohnhäusern des hölzernen Labyrinths der Smaragd-Galerien. Ganz gleich, ob die Sonne schien oder die Monde aufgegangen waren, jedes Licht verwandelte sich in einen beruhigenden meergrünen Schimmer, wenn es durch die pilzförmigen, miteinander verbundenen Elderglas-Kuppeln sickerte, welche den Distrikt überspannten. Kunden, die Therese aufsuchen wollten, wurden von ihren Leibwachen mit verbundenen Augen zu ihr geführt, durch ein Wirrwarr aus Gassen, bis sie völlig die Orientierung verloren. Die bewaffnete junge Frau, die an der Tür gelehnt hatte, trat nun mit zwei Augenbinden auf Jean und Locke zu.
»Dafür haben wir vollstes Verständnis«, entgegnete Locke. »Im Übrigen macht es uns nichts aus. Langsam gewöhnen wir uns daran, im Dunkeln an der Nase herumgeführt zu werden.«
2
Danach drückten sich Locke und Jean zwei Nächte lang in der Savrola herum und behielten jedes Dach und jede Gasse im Auge, doch weder Soldmagier noch Spione des Archonten liefen ihnen über den Weg und stellten sich ihnen freundlicherweise vor.
Doch sie wurden beschattet, und das gleich von mehreren Gruppen, so viel stand fest.
Locke vermutete, dass die Männer und Frauen, die hinter ihnen her pirschten, Requins Leute waren; anscheinend hatten sie den Befehl, sich gelegentlich als Beschatter zu erkennen zu geben, um ihn und Jean auf Trab zu halten.
In der dritten Nacht beschlossen sie, sie könnten ebenso gut in den Sündenturm zurückkehren und sich der Situation stellen. Ausstaffiert in Sachen, von denen jedes einzelne Kleidungsstück ein paar hundert Solari wert war, marschierten sie über den roten Samtteppich und steckten den Türwächtern Silbervolani zu, während eine erkleckliche Anzahl von Leuten, die zwar gut gekleidet, aber sonst völlig unbedeutend waren, in der Nähe herumlungerte und darauf hoffte, aus reinem Erbarmen in den Turm eingelassen zu werden.
Lockes geschultes Auge erkannte sofort, wer von ihnen unter falscher Flagge segelte:
Männer und Frauen mit schlechteren Zähnen, schmaleren Gesichtern und argwöhnischeren Augen als die übrigen Gäste; sie trugen Abendgarderobe, die entweder nicht richtig saß, mit den verkehrten Accessoires versehen war oder einfach nicht die passenden Farben hatte. Requins Richtige Leute, die sich in Schale geworfen hatten, weil ihnen als Belohnung für besonders gute Leistungen eine Nacht im Sündenturm versprochen worden war. Man würde sie einlassen, aber über die zweite Etage würden sie gewiss nicht hinauskommen. Ihre Anwesenheit sorgte für einen zusätzlichen Kitzel, denn so erhielten die Anständigen und Arrivierten eine Gelegenheit, mit der Unterwelt auf Tuchfühlung zu gehen.
»Meister Kosta, Meister de Ferra«, grüßte einer der Türwächter, »schön, Sie
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