Sturmauge
Händen. Binnen eines Wimpernschlags bewegte sich der Schatten hinter dem Mann und eine Gestalt trat aus der Dunkelheit. Eine Waffe blitzte auf, und die beiden verbliebenen Novizen fielen geköpft zu Boden.
Vesna schrie überrascht auf und wich zurück, die Waffe bereits erhoben. Aber der Neuankömmling lachte nur, während seine dunkle Robe wie ein lebender Schatten um ihn wogte.
»Ich bitte um Entschuldigung, aber es darf keine Zeugen geben.«
»Was geht hier vor sich?«, wollte der Graf wissen. »Wer seid Ihr?«
Die Gestalt blieb stehen und steckte die Waffe mit geschwärzter Klinge in einer schwungvollen Bewegung weg. Vesna sammelte sich und fand sich mit einem Mal von Angesicht zu Angesicht mit einem haarlosen jungen Mann, der etwas größer war als er selbst. Er hatte ein Hautbild, das blutige Tränen darstellte, die aus seinem rechten Auge liefen.
O ihr Götter, das ist kein Hautbild …
Vesna fiel auf ein Knie. Seine Gliedmaßen zitterten noch von der Anstrengung des Kampfes, gehorchten ihm aber weiterhin. »Lord Karkarn.«
Der Gott des Krieges musterte das Gemetzel um Vesna mit
fachkundiger Genugtuung. »Du hast gut gekämpft. Ich bin beeindruckt.«
»Danke, mein Lord«, keuchte Vesna und sah den Tränen mit ängstlicher Faszination dabei zu, wie sie die Wange hinabliefen. Er wusste, dass es fünfzehn sein würden, eine für jeden der Erschlagenen. Pisse und Dämonen, hoffentlich sind es nur fünfzehn.
»Oh, woher wusstet Ihr, mein Lord, dass sie mir auflauern würden?«
»Nun, weil ich das Ganze natürlich arrangiert habe«, gab Karkarn scharf zurück, und auf seinem Gesicht zeigte sich ganz kurz eine Art Verärgerung, so als läge unter seinen Zügen noch ein gänzlich anderes Gesicht, das vorübergehend zum Vorschein gekommen war – der Berserkeraspekt des Kriegsgottes. Vesna erinnerte sich an die sechs Tempel im Herzen Screes, deren Götter von dem Chaos dort am schlimmsten in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Karkarn war einer von ihnen.
Gnädige Götter, bitte lass den Berserker nicht heraus , betete er schweigend. Das überlebe ich nicht.
»Habe ich Euch beleidigt, mein Lord?« Vesna senkte den Kopf, denn er wagte es nicht, die Reaktion auf seine Worte mit anzusehen.
»Ganz und gar nicht – ich bin sehr zufrieden mit dir. Aber ich musste deine Fähigkeiten prüfen. Und ich hatte Recht damit, dass eine einzelne Gruppe nicht ausreichen würde«, sagte Karkarn ohne jedes Mitleid. »Es war gut, dass ich diese beiden zusammenbrachte.«
»Äh, mein Lord, Ihr prüft mich?«
»Steh auf, Graf Vesna«, befahl Karkarn mit donnernder Stimme, in der das Gewicht von Jahrhunderten mitschwang.
Mit zitternden Knien kam der Graf dem Befehl nach.
»Die Ketzerei in Scree hat mich getroffen. Sie hat keine große Wunde geschlagen, aber doch eine, der ich Beachtung schenken
muss, und eine, die im Fleisch meiner Priester eitert. Es fiel mir in der Letzten Schlacht zu, die Götter zu verteidigen, den Ansturm zu führen, der den Feind zu Fall brachte, und ich habe bitter dafür bezahlt. Ich habe nicht vor, so etwas noch einmal zuzulassen.« Er grollte vor mühsam beherrschter Wut.
Vesna nickte eilig, um zu zeigen, dass er verstanden hatte.
»Gut. Es ist offensichtlich, dass hier Kräfte am Werk sind, die sich dem Blick der Götter entziehen. Ich brauche einen menschlichen Gefolgsmann, um die Interessen der Götter zu schützen.«
Karkarn trat vor und sah Vesna mit kaltem Blick in die Augen. Seine Augen besaßen keine Iris und hatten die Farbe von Stahl. Als er einatmete, bemerkte Vesna den fauligen Gestank des Schlachtfeldes.
»Ich … ich verstehe nicht, was Ihr von mir verlangt. Ich bin kein Erwählter, Lord, kein Weißauge.«
»Mein Vertrauen zu den Erwählten ist verblasst«, sagte Karkarn und bleckte vor Wut die Zähne. »Mein Gefolgsmann soll mehr sein als nur ein Krieger. Ich bräuchte einen Anführer für die Menschen – einen General, der unseren Feinden den Kampf bringt.«
»Das soll ich sein?«, fragte Vesna, der zu überwältigt war, um klar zu denken.
Karkarn nickte. »Ich will, dass du zu meinem sterblichen Aspekt wirst. Du wirst der General und Held sein, den alle Krieger brauchen.«
»Sterblicher Aspekt? Ich soll ein Teil von Euch werden?« Vesnas Geist war leer, während er in das blutüberströmte Gesicht des Gottes blickte, zu dem er nur in höchster Not gebetet hatte. »Dabei aber sterblich bleiben?«
»Du sollst meine Macht teilen, dabei aber dein Leben weiterleben.«
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