Sturmjahre
bemühte sich Samantha, mit beständigem Druck die angewinkelten Beine auseinanderzuhalten. Ihr Blick flog beständig zwischen dem stillen Gesicht der Vorsteherin und Dr. Blackwells geschickt arbeitenden Händen hin und her. Nachdem die Ärztin eine Schale unter das rinnenförmige Spekulum geschoben hatte, ergriff sie ein merkwürdiges Instrument, eine lange Nadel, an deren Ende eine scharfkantige silberne Scheibe befestigt war.
»Was ist denn das?« flüsterte Samantha.
{79} »Eine Kürette.« Die Ärztin führte die silberne Scheibe behutsam ein und schloß einen Moment die Augen, als wolle sie im Geist seinen Weg verfolgen. »Ich muß sicher sein, daß ich in der Gebärmutter bin und nicht statt dessen in die Bauchhöhle eingedrungen bin.«
Mit angehaltenem Atem sah Samantha zu, wie die Ärztin das Instrument ganz vorsichtig und tastend immer tiefer einschob, bis nur noch einige Zentimeter der Nadel zu sehen waren.
»So«, sagte Elizabeth Blackwell leise und öffnete die Augen wieder. »Schau ihr Gesicht an, Samantha. Irgendwelche Anzeichen?«
»Nein. Sie ist immer noch bewußtlos. Und sie atmet ganz regelmäßig. Man sieht es an ihrer Brust.«
Die Ärztin warf Samantha einen kurzen Blick der Überraschung zu, dann begann sie mit der Ausschabung.
Samantha sah unter ihrem ausgestreckten Arm das Zucken des Leibes, während Elizabeth Blackwell mit der Kürette arbeitete.
»Wie geht es ihr?« fragte die Ärztin.
Samanthas Stimme war ein Piepsen. »Gut –«
»Weißt du, Samantha, ich muß die Gebärmutter ganz sauber machen. Wenn das nicht geschieht, gibt es hinterher Komplikationen. Dann kann es zu Blutungen kommen, zu Entzündungen und starken Schmerzen. Verstehst du das, Samantha?«
»Ja, Madam.« Samantha wandte den Kopf und sah das ruhige, entschlossene Gesicht der Ärztin an, dessen Züge im gelben Lampenschein wie gemeißelt wirkten.
»So, das wär’s.« Elizabeth Blackwell legte die Kürette aus der Hand und nahm eine lange silberne Zange, an deren Ende ein Ring befestigt war. Sie nahm eines der kleinen sauberen Tüchter, stopfte es in den Ring und führte das Instrument ein.
»Die Gebärmutter ist sauber. Jetzt tupfen wir sie aus. Schon Anzeichen, daß sie wach wird?«
»Ihre Augenlider zucken.«
»Gut. Wir sind fast fertig.«
Nachdem Elizabeth Blackwell den Ring mehrmals eingeführt hatte, führte sie den Alaunstift ein. »Das stillt kleinere Blutungen«, erklärte sie und packte dann den Unterleib ihrer Patientin in saubere Tücher.
Eine halbe Stunde später saßen sie am Feuer und tranken Tee. Mrs. Steptoe war erwacht, als sie sie gewaschen hatten. Sie hatten ihr eine Dosis Laudanum verabreicht, und nun schlief sie friedlich in ihrem frisch bezogenen Bett.
»Glauben Sie, es ist alles gutgegangen, Frau Doktor?«
{80} »Ich denke schon. Du hast deine Sache sehr gut gemacht, Samantha. Ohne deine Hilfe wäre es für mich viel schwieriger gewesen.«
Samantha senkte scheu die Lider und starrte in ihre Teetasse. Sie war erschöpft und doch auch auf seltsame Weise erregt und glücklich. Sie fühlte sich der Frau, mit der sie Hand in Hand gearbeitet hatte, um Mrs. Steptoe zu helfen, so nahe, daß es sie beinahe verlegen machte. Es war ein ihr fremdes Gefühl, das sie nicht in Worte fassen konnte; zum erstenmal in ihrem Leben verspürte sie das Gefühl tiefer Gemeinschaft mit einer Frau. Und ein Lob von dieser Frau, die sie vor zwei Stunden noch nicht gekannt hatte, bedeutete ihr plötzlich unendlich viel.
Elizabeth Blackwell musterte das schweigsame junge Mädchen nachdenklich. Ein ausgesprochen schönes junges Mädchen und dabei doch gänzlich natürlich und unaffektiert. Das erlebte man selten. Wie war dieses einfache Ding, dem es sichtlich an gesellschaftlichen Manieren fehlte – man brauchte nur zu sehen, wie sie ihre Tasse hielt, und zu hören, wie sie den Tee schlürfte –, unter die höheren Töchter geraten? Ein Bild kam Elizabeth Blackwell unversehens: Samantha Hargrave war ein ungeschliffener Diamant unter glänzend polierten Glassteinen.
»Gefällt es dir hier, Samantha?«
»Nein, Frau Doktor.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht, was ich hier soll. Ich hab’ keine Freundinnen. Sie mögen mich nicht. Dauernd knuffen sie mich. Und morgens darf ich immer erst als letzte an die Waschschüssel, wenn das Wasser schon ganz schmutzig ist.«
»Deine Eltern haben aber doch sicher ihre Gründe dafür, dich hierher zu schicken«, meinte Elizabeth Blackwell freundlich.
»Ich hab’
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