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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Fenster, um nach Samantha Ausschau zu halten, und kehrte dann kopfschüttelnd an ihre Arbeit zurück. Das Verhalten des Mädchens war ihr rätselhaft, doch sie war überzeugt, daß das, was über Weihnachten geschehen war, das Samantha jetzt so rastlos machte, mit der Zeit verblassen und an Nachdruck verlieren würde, wie alles Gute und Schlechte im Leben, und daß Samantha dann wieder die alte werden würde.
    Samantha spürte keinerlei Bedürfnis, sich Hannah mitzuteilen. Sie war zwei Tage nach Weihnachten unerwartet zurückgekehrt, blaß und still, und hatte sich dankbar der Wärme und Geborgenheit von Hannahs behaglicher kleiner Welt überlassen. Sie sprach wenig und lebte wie hinter einer Wand: Sie aß, ohne etwas zu schmecken; sie schlief, ohne Ruhe zu finden; und jeden Morgen brach sie dick vermummt zu ihren Wanderungen auf, auf der Suche nach etwas, das sie nicht identifizieren konnte.
    Sie hatte das vage Gefühl, am Ende eines Abschnitts in ihrem Leben angekommen zu sein, obwohl sie nicht wußte, was eigentlich zu Ende gegangen war.
    Samantha stand am Ufer des gefrorenen Sees und merkte nicht, daß ihr der Wind die Kapuze vom Kopf riß. Sie rang mit ihren Gedanken und Gefühlen, bis die beißende Kälte sie daran erinnerte, daß bei allen seelischen Kämpfen auch der Körper versorgt sein will. Sie stand da und starrte in die weiße Weite, als müsse sich ihr hier die flüchtige Erkenntnis zeigen, die sie nicht greifen konnte. Manchmal, wenn sie schon glaubte, sie erhaschen zu können, schwebte sie unversehens davon wie eine Feder im Wind.
     
    Der Winter wich mildem, regnerischem Tauwetter und dann einem blühenden, duftenden Frühling mit bunt geblümten Wiesen und Vogelgezwitscher. Ende Mai kam Sean Mallone nach Hause, und mit einem Schlag schienen die Jahre von Hannah abzufallen. Sie arbeitete mit jugendlicher Energie im Haus, ihre hellbraunen Augen strahlten, sie machte sich jeden Morgen hübsch, stand singend am Herd, um Sean seine Lieblingsgerichte zu kochen, füllte die Vasen im Haus mit Sträußchen aus Erdbeerblüten und Schwarzäugiger Susanne.
    Samantha zog sich noch mehr zurück, um den beiden möglichst viel Ungestörtheit zu lassen. So saß sie, wenn sie aus dem College nach Hause kam, bis spät in die Nacht über ihren Büchern, und die Wochenenden verbrachte sie mit großen Spaziergängen.
    {177} In der letzten Semesterwoche entdeckte sie die Lichtung. Tief in Gedanken trat sie aus den Bäumen plötzlich auf eine kleine Waldwiese und drehte sich staunend im Kreis. Lichtsprenkel fielen durch die ausladenden Zweige von Birken und Weiden, die sich wie ein Dach über der Wiese wölbten. Ein umgestürzter Stamm, vor langer Zeit vom Blitz gefällt, bot sich als Bank an. Schwarz glänzende Brombeeren hingen überreif im Gestrüpp, es schien Samantha, die nachdenklich umherging, als habe nie vorher ein Mensch diese stille Lichtung betreten. Sie fand die Spitze eines alten Indianerpfeils und stellte sich vor, daß die Indianer vor langer Zeit, als sie von der Zivilisation der Weißen noch unberührt gewesen waren, diesen Ort als Kultstätte benützt hatten. Sie verehrten erdnahe Götter, die in den Feldfrüchten, den Bäumen und im Wasser lebten, die man anrühren und schmecken, mit denen man in Verbindung treten konnte; Götter die ganz anders waren als der ferne, gesichtslose Gott Samuel Hargraves.
    Es war Samantha, als hätte die Lichtung nur auf sie gewartet. Sie war der ideale Ort zum Nachdenken und zur inneren Einkehr, die sie brauchte, um nach der Verwirrung, in die sie geraten war, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Beinahe jeden Nachmittag kam sie hierher, und anfangs kreisten ihre Gedanken fast ausschließlich um Joshua. Aber mit der Zeit gelang es ihr, sich innerlich von ihm zu lösen, und sie fühlte sich freier. War es wirklich Liebe gewesen? Sie war sich nicht mehr sicher. Sie hatte nie etwas Vergleichbares erlebt. Möglich, daß sie einst Freddy geliebt hatte, aber das Gefühl war verschwommen und unscharf geworden. Vielleicht gab es verschiedene Arten von Liebe. Was sie für Joshua empfunden hatte, war mehr anbetende Verehrung gewesen, Liebe gewiß, aber nicht von der Art, die zwangsläufig zur körperlichen Erfüllung drängte. Häufig dachte Samantha über dieses merkwürdige Phänomen nach: daß sich mit der vollzogenen Umarmung ihre Liebe zu Joshua verändert hatte.
    Während die Spätsommertage einander in gleichförmiger Reihe ablösten, erkannte Samantha, daß Joshua ein

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